Folgender Artikel erschien 1999 in den DPMA-Erfinderaktivitäten.
Dipl.-Ing. Werner Kirscheneder
Der Beitrag beschreibt Generationensprünge in der Entwicklung elektromechanischer Relais anhand von R-Relais (SAUER / MATSUSHITA) und Silizium-Mikrorelais (SIEMENS).
Pionierleistungen revolutionieren jedes technische Fachgebiet in gewissen Zeitabständen. Dem großen Denkanstoß folgen dann viele kleinere Schritte mit Varianten und Ausgestaltungen der grundlegenden Idee und bringen schließlich das ganze Gebiet auf ein neues, höheres technisches Niveau. Zumeist vergehen dann viele Jahre bis der erreichte Zustand durch eine weitere Pionierleistung von neuem in Schwung gebracht wird.
In den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts schien die Zeit elektromechanischer Relais zu Ende zu gehen. Transistoren fanden bei nahezu allen Elektrogeräten rasant und in großem Umfang Eingang. Sie waren viel kleiner als die bis dahin verwendeten Elektronenröhren, die sie größtenteils ersetzten, zuverlässiger, von nahezu unbegrenzter Lebensdauer und auch auf gedruckten Leiterplatten einfach einzusetzen. Herkömmliche elektromechanische Relais passten schon wegen ihrer Baugröße und ihres hohen Energiebedarfes einfach nicht mehr zu dieser neuen Technologie [1]. Und fast jedermann dachte, dass die Transistoren auch die Relais ablösen würden, insbesondere bei den Schaltungen auf Leiterplatten. Die Notwendigkeit der galvanischen Trennung und eine bauliche Verkleinerung bei gleichzeitiger Verringerung der Erregerleistung brachten der Relaistechnik schließlich einen neuen Aufschwung.
Die deutsche Patentschrift DE-PS 1243271 aus dem Jahr 1966 beschreibt ein elektromechanisches Relais in Form eines Reed-UmschaltRelais (Figur 1), das aufgrund seiner kleinen Bauweise und seines geringen Energieverbrauchs der modernen Schaltungstechnik wieder gerecht wurde.
Anstelle eines herkömmlichen Glas-Reedkontaktes ist eine ferromagnetische Kontaktzunge unmittelbar in einem als Schutzrohr ausgebildeten Spulenkörper untergebracht. Im Spulenkörperflansch angeordnete Polschuhe eines Dauermagneten sind zugleich als Festkontakte genutzt. Das so entstandene R-Relais zeichnet sich zunächst durch einen kompakten Aufbau aus. Mit nur 2 cm3 Bauvolumen beansprucht es etwa ein Zehntel dessen, was bei vergleichbaren VorgängerRelais üblich war [2].
Die Überlagerung von Dauer- und Erregermagnetfluss im Kontaktluftspalt erzielt gleichzeitig eine hohe Ansprechempfindlichkeit und benötigt so eine geringe Ansteuerleistung. Damit war ein hocheffizientes, gepoltes Relais mit geringem Aufwand realisiert. Wegen der kleinen Masse bewegter Teile - es war nur noch die, den Anker bildende, Kontaktzunge - wurden Schaltfrequenzen bis zu .etwa 1 kHz möglich.
Der geringe Energiebedarf führte zu niedriger Eigenerwärmung. Dies ermöglichte eine hohe Packungsdichte beim Einsatz auf gedruckten Leiterplatten. Das R-Relais bot damit Eigenschaften, die den Anforderungen der neuen Schaltungstechnik in geradezu idealer Weise gerecht wurden. Anlässlich der "electronica 1968" wurde das R-Relais für seinen hohen technischen Stand ausgezeichnet. Und wer das erste deutsche Tastentelefon bediente, hörte sein sanftes Klicken [4].
Dieses grundlegend neue Konzept wurde in den folgenden Jahren mit weiteren Verbesserungen versehen, die der Herstellung, der Qualität und der Anwendung des R-Relais dienten.
Das Zusatzpatent DE-PS 1909940 (Figur 3) zeigt die auf eine industrielle Serienfertigung ausgerichtete Gestaltung des den Relaisaufbau bestimmenden Spulenkörpers. Kontaktanschlüsse und Polschuhe sind in Kunststoffteilen formgebunden fest eingebettet. Im Spulenkörperflansch ist eine Aufnahmekammer für einen keramischen, elektrisch nicht leitenden Dauermagneten aus BaOFe [5] eingeformt. Durch die Wahl der Abstände des Dauermagneten von gegenüberliegenden Polschuhen wird es auf einfache Weise möglich, mono- oder bistabiles Schaltverhalten zu realisieren. Der keramische Magnet hat einen negativen Temperaturgang, der den der Spule weitgehend kompensiert und damit den Anwendungsbereich des Relais erheblich erweitert.
Zur Abdichtung des Kontaktraumes zum Schutz vor Umwelteinflüssen, die von großer Bedeutung für die Zuverlässigkeit von Relais ist, ist in DE 2353444B2 (Figur 4) beschrieben, wie das R-Relais in Isolierstoff eingebettet wird.
Zur weiteren Steigerung der Kontaktzuverlässigkeit des R-Relais beschreibt DE 2462277C3 (Figur 5) den keramischen Dauermagneten als Getter zu aktivieren. Zu diesem Zweck wird der Dauermagnet durch eine Vorbehandlung aktiviert, um langfristig kontaktschädigende Substanzen im Kontaktraum zu binden, damit diese sich nicht auf den Kontakten niederschlagen und den Kontaktwiderstand schädigend beeinträchtigen. Die Anwendung dieses Verfahrens bewirkt, je nach Anwendungsfall, eine Erhöhung der Lebensdauer um das 10-bis 40-fache sowie der Kontaktsicherheit um mehr als das 100-fache [3].
Die DE 2747607C3 beschreibt eine Ansteuerschaltung (Figur 6), um die Vorteile bistabiler R-Relais, wie z.B. geringe Erregerleistung und Wegfall unnötiger Erwärmung, Thermospannungsarmut, Erhöhung der Zuverlässigkeit auch benachbarter Bauelemente und eine Temperaturkompensation der Erregerspannung auch für monostabiles Schalten zu nutzen.
Beim Anlegen einer Erregerspannung U wird das an sich bistabile Relais Rls durch den Aufladestrom des Kondensators erregt und schaltet. Infolge der Ladung des Kondensators C1 unterbleibt ein weiterer Stromfluss - das Relais verbleibt jedoch infolge seines bistabilen Charakters in seiner Schaltstellung. Zum Zurückschalten durch Wegnahme der Erregerspannung U entlädt sich der Kondensator C1 über die parallel zum Relais geschaltete Halbleiterstrecke T1. Das Relais R1s wird entgegengesetzt erregt und kehrt, wie ein monostabiles Relais in seine Ruhelage zurück. Auf diese Weise ist das R-Relais mit einem Minimum an Ansteuerenergie zu betreiben. Diese Schaltung ließ sich dank seiner Einfachheit sogar in das R-Relais integrieren [6]. Dies wurde beim Einsatz in einer Weltraummission unter Beweis gestellt.
Mit den beschriebenen, für die moderne Schaltungstechnik vorteilhaften Eigenschaften erzielte das R-Relais auch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. So kamen in mehr als 30 Jahren mehrere hundert Millionen dieser Relais zum Einsatz.
Ein Beispiel, dass es sinnvoll sein kann, auch ein scheinbar technisch ausgereiztes Bauteil, wie das elektromechanische Relais, trotz spektakulärer Entwicklungen auf anderen Gebieten wie bei den Halbleitern, nicht aufzugeben, sondern konsequent weiter zu entwickeln.
Bei der Neu- und Weiterentwicklung von klassischen elektromechanischen Relais ist es immer wieder gelungen, beim Übergang von einer Generation zur nächsten Miniaturisierungsschritte mit einer Reduzierung von Volumen oder auch Leiterplattenflächen bis zu 50% zu realisieren. Figur 7 zeigt den Größenvergleich (Volumen/Kontaktstrecke) folgender Siemens - Relaisgenerationen : Kleinrelais D1 (1 Wechsler) (DE 2701230C3, DE 2723219C2, DE 2723220C2); Kleinrelais D2 (2 Wechsler) (DE 3132239C3); Miniaturrelais P1 (1 Wechsler) (DE 3338198A1); MiniaturRelais P2 (2 Wechsler) (DE 4309618A1); Telekomrelais T4 (2 Wechsler) (DE-Anmeldungen 19850667 und DE 19850668) und Silizium-Mikrorelais SIR (16 Schließer) (DE 4205029C1) [7]. Das mit der Miniaturisierung der Relais zunehmende Know-how drückt sich dabei ersichtlich in einer ganzen Anzahl von Patentanmeldungen aus.
Neben den weiterhin niedrigeren Kosten ist dies mit ein Grund, weshalb elektromechanische Relais allen Unkenrufen zum Trotz seit vielen Jahren gegenüber Halbleiterlösungen nicht nur bestehen können, sondern weiterhin steigende Umsatzzahlen aufweisen. Dies gilt sowohl für Kleinsignal-/Telekomrelais als auch für Leistungsrrelais im Industrie- und Automobilbereich.
Die Miniaturisierung wirkt sich allerdings auch auf die Ansteuer- und Lastseite der Relais aus, wobei die technischen Anforderungen hier eher steigen als fallen. Speziell bei Kleinsignal-/ Telekomrelais stößt man heute oft an physikalische Grenzen, wie zum Beispiel bei den Drahtdicken von Spulen, der Größe und Genauigkeit von Spritzgussteilen oder der Komplexität von Fertigungslinien. So wird es immer schwieriger, zu vertretbaren Kosten immer noch kleinere Relais auf den Markt zu bringen.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma zeigt das Silizium-Mikrorelais auf, dessen Entwicklung einen Quantensprung bezüglich Ansteuerleistung und Miniaturisierung ermöglicht. Hierbei werden die herkömmlichen Wege bei der Konstruktion und Fertigung von Relais verlassen, denn dieses Relais wird in MEMS-Technologie (Micro-Electro-Mechanical Systems) realisiert, wobei dieses neuartige Bauelement die Vorteile des klassischen Relais (zum Beispiel volle galvanische Trennung, Robustheit, niedrige Kontaktwiderstände) mit denen der Halbleiterschalter (zum Beispiel Standardisierung, kleine Abmessungen, niedrige Ansteuerleistung) verbindet [8].
Die entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Silizium-Mikrorelais spielt der Antrieb. Da die Spule beim elektromagnetischen Relaisantrieb einen wesentlichen Anteil des Volumens und der Herstellungskosten beansprucht und kaum noch weiter verkleinert werden kann, gab es schon frühzeitig Überlegungen, alternative Antriebsprinzipien für Relais einzusetzen, wobei es galt, einen geeigneten Kompromiss zwischen Leistungsverbrauch, erzielbarer Kontaktkraft und damit Kontaktsicherheit sowie der Größe zu finden. Es zeigte sich, dass man beispielsweise mit Planarspulen oder thermischen Antrieben keine Leistungen unterhalb von 100 mW bei ausreichender Kontaktkraft realisieren kann, andererseits konnten auch Piezoantriebe oder andere Schaltprinzipien weder mit den erzielbaren Volumen noch mit der Schaltcharakteristik überzeugen.
Auch mit dem elektrostatischen Antriebsprinzip waren immer wieder Versuche unternommen worden, ohne dass damit marktfähige Produkte erzielt werden konnten. Erst die Entwicklung des so genannten Wanderkeil-Prinzips (DE 4205029C1) ermöglichte schließlich den Durchbruch zur technischen und wirtschaftlichen Realisierbarkeit (Figur 8). Bei diesem Prinzip bildet eine aus Silizium geätzte Ankerzunge einen keilförmigen Luftspalt mit einer Gegenplatte, und bei Anlegen einer Spannung zwischen der Gegenplatte und der Ankerzunge rollt letztere auf der Gegenplatte ab. Beginnend von der engsten Stelle des Luftspaltes an der Anbindungsstelle des Ankers, wo die elektrostatischen Anziehungskräfte am größten sind, setzt sich die Abrollbewegung fort bis zum freien Ende des Ankers, wobei im Bereich dieses freien Endes der Ankerzunge ein Kontakt geschlossen wird. Der elektrostatische Antrieb braucht hierbei nicht wie in herkömmlichen Konstruktionen einen großen Anfangsabstand der Elektroden zu überwinden, vielmehr entstehen große elektrostatische Kräfte an der jeweils innersten Stelle des Luftspaltes und diese Krafteinwirkung wandert beim Schließen des Ankers weiter bis zum freien Ende (Wanderkeil-Prinzip) [9].
Bei der Herstellung des Silizium-Mikrorelais kommt weitgehend die Prozesstechnik aus der Halbleiterfertigung zum Einsatz. Beispielsweise wird die Ankerzunge mit einer Länge von 1 mm bis 1,5 mm und einer Breite von 0,5 mm aus einem Siliziumsubstrat geätzt, wobei unterschiedlich dotierte Schichten eine vorgegebene Krümmung der Ankerzunge bewirken. Durch weitere Strukturierung wird die Schaltcharakteristik des Relais verfeinert. In der DE 4437259C1wird die Kontaktkraft der Ankerzunge erhöht (Figur 9). Die DE 4437260C1 beschreibt wie die Querwölbung der Ankerzunge durch die Anordnung von Schlitzen vermieden wird (Figur 10).Die DE 4437261C1 vermeidet eine schleichende Kontaktgabe durch eine geometrische Diskontinuität des Luftspalts. Die DE 19736674C1 beschreibt eine Überlappung von beweglichem Kontakt und Festkontakt (Figur 11). Die Fertigung in MEMS-Technologie erlaubt außerdem auch noch die Herstellung von Mehrfachschaltern (bis zu 16) in einem Gehäuse und außerdem die Integration von zusätzlicher Intelligenz.
Eine Marktuntersuchung [9] hat ergeben, dass das Silizium-Mikrorelais nicht nur die Aufgaben herkömmlicher elektromagnetischer Relais, sondern auch die von anderen Kleinsignalschaltelementen, wie Halbleiterrelais und Optokopplern, übernehmen kann. Es ist für alle Anwendungen interessant, in denen man
benötigt. Somit ist eine Anwendung nicht nur in der Telekommunikation, sondern auch in der Automobilelektronik, bei brauner Ware, in der Medizintechnik, in der Mess- und Regelungstechnik sowie in der Sicherheitstechnik möglich. In [9] ist gezeigt, wie sich das Siliziumrelais erwartungsgemäß im Markt zwischen den bekannten Kleinsignal-Schaltelementen (mit galvanischer Trennung) plazieren wird (Figur 12). Die Vorteile gegenüber diesen bezüglich Verlustleistung sind ebenfalls in [9] dargestellt (Figur 13).
Die beschriebenen elektromechanischen Relais zeigen eindrucksvoll, wie der Erfindergeist stets neue Wege findet, auch bei scheinbar technisch ausgereizten Bauteilen, wie Relais, die Entwicklung voranzutreiben.
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