Inhalt
Biotechnologie und Patente
Die Biotechnologie ist eine der interessantesten und komplexesten Herausforderungen für das Patentwesen. Man versteht darunter den Einsatz und die Nutzung biologischen Materials wie Enzyme oder Zellen für technische Zwecke, etwa zur Herstellung von Arzneimitteln.
Im Bereich Biotechnologie treffen im Patentwesen nicht nur Technik, Recht und Wirtschaft aufeinander. Auch ethische und moralische Fragen spielen hier eine wichtige Rolle und beeinflussen die Gesetzgebung. So reguliert das Gentechnikgesetz die Forschungsarbeit; Embryonenschutzgesetz und Stammzellgesetz können die Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen einschränken. Durch die europäische Biopatentrichtlinie und deren Umsetzung in das Patentgesetz wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Patentierung biotechnologischer Erfindungen gesetzt. Die rasante Entwicklung des wissenschaftlichen Fortschritts in der Molekularbiologie stellt das Patentwesen jedoch immer wieder vor neue Herausforderungen.
Einsatzgebiete der Biotechnologie
Die „Grüne“ Biotechnologie betrifft pflanzliche Anwendungen, z. B. für landwirtschaftliche Zwecke. Die „Rote“ Biotechnologie befasst sich mit medizinisch-pharmazeutischen Anwendungen, also mit der Herstellung von Medikamenten und Diagnostika. Die „Weiße“ oder Industrielle Biotechnologie umfasst beispielsweise Herstellungsverfahren für chemische Verbindungen in der Textil- oder Lebensmittelindustrie. Darüber hinaus gibt es noch die „Blaue“ Biotechnologie, die sich mit der Nutzung von Organismen aus dem Meer befasst, oder die „Graue“ Biotechnologie im Bereich der Abfallwirtschaft (Kläranlagen, Dekontamination von Böden u.ä.).
Besondere ethische Herausforderungen für das Patentrecht ergeben sich aus der „Grünen“ und „Roten“ Biotechnologie. Manche Patenterteilungen in diesen Bereichen wurden von der Öffentlichkeit kritisch begleitet. Bekannt geworden sind zum Beispiel die Verfahren zur „Krebsmaus“, zum „Brokkoli-Patent“ oder die Auseinandersetzung um ein Patent auf ein Diagnoseverfahren für Brustkrebs.
Medizin und Arzneimittel
Erfindungen, die sich auf biologisches Material beziehen, sind grundsätzlich patentierbar. Biologisches Material ist jedes Material, das genetische Informationen enthält und sich entweder selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann (§ 2a Abs. 3 Nr. 1 PatG).
Hinsichtlich des Menschen bestehen im Patentgesetz besondere Regelungen. Der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung einschließlich der Keimzellen kann nicht patentiert werden (§ 1a PatG). Ebenso sind Verfahren zum Klonen menschlicher Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens und die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen und kommerziellen Zwecken von der Patentierung ausgeschlossen (§ 2 PatG).
Viele moderne Arzneimittel basieren auf der Biotechnologie. Eines der ersten auf Gentechnik beruhenden Medikamente war Human-Insulin für Diabetiker, das im Lauf der Zeit – oft unter Patentschutz – immer weiter entwickelt wurde. Andere patentierte medizinische Erfindungen ermöglichten beispielsweise den DNA-„Fingerabdruck“ und Vaterschaftstests. Bluttransfusionen wurden dank patentierter Tests auf Krankheiten sicherer. Etliche Medikamente gegen Krebs und Autoimmunerkrankungen basieren heute auf menschlichen Gensequenzen. Der Patentschutz ermöglicht den Herstellern, ihre oft sehr umfangreichen Investitionen in Forschung und Entwicklung zu refinanzieren. Viele der heute meistverkauften Medikamente waren bzw. sind biologischen Ursprungs und durch Patente geschützt.
Menschliche Gene
Rechtsgrundlagen
- Patentgesetz §§1a, 2, 2a, 3, 9a PatG
- Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen
Patente, die sich auf das menschliche Genom beziehen, werden aus ethischen Gründen besonders kritisch hinterfragt: Darf man denn menschliches Erbgut überhaupt patentieren? Die bloße Entdeckung eines menschlichen Gens ist keine patentierbare Erfindung (§ 1a PatG). Es kommt darauf an, wie diese Entdeckung genutzt werden soll: Wird die „gewerbliche Anwendbarkeit“ (etwa für die Arzneimittelherstellung) eines menschlichen Gens in einer Anmeldung aufgezeigt und im Patentanspruch formuliert, so kann das menschliche Gen patentierbar sein (§ 1a PatG).
Weltweit gibt es heute zahlreiche Arzneimittel, die aus menschlichen Gensequenzen entwickelt wurden. Dafür war ein immenser Forschungsaufwand erforderlich. Damit ein Gen zur Herstellung eines Arzneimittels genutzt werden kann, muss erst ein geeigneter Teilabschnitt dieses Gens aus dem Organismus isoliert und seine Funktion aufgeklärt werden. Das ist technisch schwierig, dauert lange, kostet sehr viel Geld – und soll deshalb mit Patentschutz belohnt werden können.
Pflanzen und Tiere
Patentrechtlich zulässig ist die Patentierung von Pflanzen oder Tieren mit Eigenschaften, die durch Gentechnik oder sonstige technische Verfahren verändert wurden. Auch die Früchte der Pflanzen und die Folgegenerationen von Tieren können vom Patentschutz erfasst werden (§ 9a PatG).
Pflanzensorten und Tierrassen sind jedoch nicht patentfähig, ebenso wenig "im Wesentlichen biologische Verfahren" zur Züchtung von Pflanzen und Tieren. In Deutschland gilt zudem ein Patentierungsverbot für Pflanzen und Tiere, die ausschließlich durch "im Wesentlichen biologische“ Verfahren erzeugt wurden (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG). Hintergrund ist, dass die Landwirtschaft auf die stetige Weiterzüchtung von Sorten und Rassen und auf den freien Zugang zu einem breiten Genpool (alle Genvariationen einer Population) angewiesen war und ist, der durch Patente möglichst wenig eingeschränkt werden soll.
Auch auf europäischer Ebene scheint sich diese Auffassung durchzusetzen. So beschloss der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation am 29. Juni 2017, die Regeln 27 und 28 der EPÜ-Ausführungsordnung analog zur Regelung im deutschen Patentgesetz dahingehend zu ändern, dass Pflanzen und Tiere, die ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Züchtungsverfahren gewonnen werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind.
Die neuen Bestimmungen traten am 1. Juli 2017 in Kraft (ABl. EPA 2017, A56). Der Beschluss soll der Mitteilung der Europäischen Kommission vom November 2016 ( Abl. EU 8.11.2016, C 411/3) Rechnung tragen, die sich auf die Auslegung der Richtlinie Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen bezog. Diese Auslegung wurde zwischenzeitlich auch durch die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts bestätigt (G 3/19; ABl. EPA 2020, A119).
Weblinks und Einzelnachweise
- Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; besonders: Biopatente - eine Gefährdung für Nutzung und Erhaltung der Agrobiodiversität?
- Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie unter anderem hinsichtlich ausreichender Technizität sowie Auswirkungen im Bereich der Pflanzen- und Tierzüchtung
- Erfinderaktivitäten 2013 , Artikel „Biolumineszenz“
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: "Biopatente: Keine Patentierung von Tierrassen und Pflanzensorten"
Siehe auch: Ergänzende Schutzzertifikate
Bild 1: iStock.com/sanjeri, Bild 2: iStock.com/nevodka
Stand: 24.04.2023
Soziale Medien