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75 Jahre Patentamt in München, Teil 2
Das Patentamt und München: Das Haus, die Kunst und die Medien
„Endlich wieder Rechtsschutz“, schrieb „Die Zeit“ nach der Eröffnung des Deutschen Patentamts in München. Ein „langersehnter Schlußstrich“ sei „unter die peinliche Nachkriegs-Rechtlosigkeit auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes“ gezogen worden.
In der Tat zeigten die großen Anmeldezahlen, dass im beginnenden „Wirtschaftswunder“ gewaltiger Bedarf an gewerblichem Rechtsschutz bestand. Aber dass nun München fester Sitz des Patentamtes sein sollte und nicht mehr Berlin, wo es zuvor jahrzehntelang zuhause gewesen war, sorgte auch nach der Neueröffnung an der Isar noch lange für Kontroversen.
„Auch Berlin, das das frühere Reichspatentamt beherbergte, ist nicht vergessen worden“, so die „Zeit“ weiter; „es erhält zur Unterstützung der Münchner Arbeit eine Zweigstelle mit dem Namen „Deutsches Patentamt – Dienststelle Berlin“ (Zeit, 16. Februar 1950). Diese eröffnete am 1. Februar 1950 im schwer kriegsbeschädigten Gebäude des ehemaligen Kaiserlichen Patentamts in der Gitschiner Straße.
Großer Andrang
"Fetter Brocken"
„Es hatte einen harten Kampf gekostet, bis dieser fette Behörden-Brocken, um den sich viele Städte jahrelang gerauft hatten, München zufiel.“
(Süddeutsche Zeitung vom 1.7.1952)
Die erste Patentschrift des Nachkriegs-Patentamts, die am 21. Juni 1950 veröffentlicht wurde, ging an die Münchner Firma Linde und trug die Nummer DE 800 001. Das erste Gebrauchsmuster wurde mit der Nummer DE 1600001 U eingetragen für eine „Anschlagsmaschine“, also ein Rührgerät für Konditoreien der Firma Zumbült aus Beckum.
Schon am 2. Dezember 1949 meldete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, beim Patentamt in München seien seit der Eröffnung am 1. Oktober 5940 Patente (davon „nur“ 5065 aus dem Inland!), 3845 Gebrauchsmuster und 2725 Warenzeichen angemeldet worden (FAZ 02.12.1949).
Zimmer gesucht!
Das Amt benötigte schon bald mehr Mitarbeiter und diese wiederum mehr Wohnraum, so dass es per Kleinanzeige für sie Wohnungen suchte (aus Sparsamkeitsgründen mit vielen Abkürzungen):
„Deutsches Patentamt im Deutschen Museum sucht dring. z. 3. Nov. eine größere Anzahl mbl. u. leerer Zim. Näh. Einzelheiten sof. schriftl od. persönlich erbeten“ (SZ 02.11.1949).
An seinem provisorisch eingerichteten Dienstsitz im Bibliothekstrakt des Deutschen Museums wurde es bald eng. Während bei Neugründung der Behörde am 1. Oktober 1949 der Personalstab nur 423 Beschäftigte zählte, waren es 1951 schon 1 187 – fast drei Mal so viele. 1954 beschäftigte das Deutsche Patentamt dann 1 809 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Alliierte Einflussnahme
Auch nach Gründung der Bundesrepublik nahmen die Alliierten zunächst weiter starken Einfluss auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die FAZ äußerte sich 1949 enttäuscht über das „Gesetz Nr. 8 der Alliierten Hohen Kommission bezgl. geistigen Eigentumsrechten ausländischer Staaten“: „Es benachteiligt die deutschen Erfinder und damit die gesamte Wirtschaft stark. (…) Die Regelung des gewerblichen Eigentums muss endlich wieder alle gleichstellen. (…) Die Deutschen dürfen nicht weiterhin um die Früchte ihrer Erfindungsarbeit, die sie im Ausland durch die Beschlagnahme der Auslandspatente bereits eingebüßt haben, auch noch im Inland gebracht werden“ (FAZ 03.12.1949).
Auch behielten sich die ehemaligen Besatzungsmächte die Kontrolle über bestimmte Patente vor: „Der Rat der Alliierten Oberkommissare hat zum Wochenende ein Gesetz zur Kontrolle deutscher Patente aus Sicherheitsgründen erlassen. Danach werden Patente, die in irgendeiner Beziehung zu der Gesetzgebung der Besatzungsmächte über verbotene und kontrollierte Forschung stehen, zur Prüfung und Kontrolle dem Alliierten Sicherheitsamt vorgelegt.“ Das Patentamt musste zweimal im Monat einen Bericht über Patentanmeldungen aus der „verbotenen und kontrollierten Forschung“ vorlegen (FAZ 19.12.1949).
Zu viele zugezogene „Preiß´n“
Das Patentamt wurde derweil erwartungsgemäß rasch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in München: „6000 Münchner leben vom Patentamt“, titelte die „Süddeutsche“ Anfang 1950: Das Amt habe „an mehr als 100 Münchner Firmen Aufträge von fast 1,5 Millionen Mark gegeben“, berichtete die Zeitung weiter.
Aber die vielen zugezogenen „Preußen“, die gefielen den Münchnern nicht, so das Blatt: „Von verschiedenen Seiten wurde viel und heftig über das Patentamt gelästert, weil es einen Teil des eingearbeiteten Stammpersonals, das für die rasche Aufnahme der Arbeit unerläßlich war, nach München brachte und damit die Zahl der Zugereisten um einige Hundert erhöhte.“
Die SZ wies aber im gleichen Atemzug darauf hin: „Durch das Patentamt und dessen „Troß“, Patentanwälte, Patentbüros, Photokopieranstalten, Fachverlage u.a., erhalten etwa 2000 Beschäftigte in unserer Stadt Brot und Arbeit, so daß mit den Familienangehörigen an die 6000 Personen wirtschaftlich vom Patentamt abhängig sind“ (SZ 10.02.1950).
Berlin will das Amt zurück
Aber diese fruchtbare Beziehung war bedroht, denn die Berliner wollten ihr Patentamt zurückhaben. Vertreter der Berliner Industrie forderten im Oktober 1949 von der frisch zusammengestellten Bundesregierung, das Patentamt sowie das ursprünglich im Grundgesetz vorgesehene Oberste Bundesgericht nach Berlin zu verlegen.
Auch Berlins Oberbürgermeister Ernst Reuter verlangte in einem Brief vom 26.10.1949 nicht zum ersten Mal von Bundeskanzler Konrad Adenauer, „alle diejenigen Behörden, die nicht unbedingt am Bundessitz (Bonn) angesiedelt sein müßten, nach Berlin zu verlegen“.
Adenauer sagte in der 13. Kabinettssitzung am 18. Oktober 1949, es sei nötig, eine Repräsentation der Bundesrepublik in Berlin einzurichten. „In der erhitzten Berliner Atmosphäre" sei aber nicht der rechte Platz für die Arbeit eines Hohen Gerichtes, so Adenauer. Man solle lieber daran denken, eine hohe Verwaltungsbehörde nach Berlin zu verlegen. Auch wenn der Bundeskanzler hier nicht explizit das Patentamt ansprach – die Rückkehr nach Berlin stand im Raum. Und das noch für noch längere Zeit.
Stetig mehr Arbeit für das Amt
In München wuchs das Amt derweil rasch weiter. Im Februar 1951 gingen täglich 150 Patentanmeldungen ein, meldete die SZ (10.02.1951). Ab Anfang 1952 fand auch endlich wieder die ordnungsgemäße Prüfung von Patenten im Amt statt.
Zwei Jahre nach der Eröffnung des Patentamts meldete die „Süddeutsche“, dass dort mittlerweile 106 443 Patente, 72 778 Gebrauchsmuster und 42 421 Warenzeichen angemeldet worden waren, davon knapp 20 Prozent aus dem Ausland!
„Immer noch versuchen einige unbeirrbare Verfechter des 'perpetuum mobile' ihr Glück. Rund 1 500 Briefe gehen täglich beim Patentamt ein. Die Behörde, die sich durch ihre Gebühren selbst erhält, konnte bereits eine halbe Million Mark an den Bund abführen“ (SZ 02.10.1951).
Blick in die „Musterkammer“
Damals war es üblich, bei Anmeldung eines Gebrauchsmusters ein Muster der Erfindung im Patentamt einzureichen. Die „Süddeutsche“ durfte 1952 einen Blick hinter die Kulissen werfen:
„Die Musterkammer des Patentamts ist denn auch ein Sammelsurium der kuriosesten Schöpfungen. Hier glaubt man zuerst, in ein Fundbüro geraten zu sein. Aber sieht man näher hin, dann entdeckt man, dass dieser Kinderwagen sich durch einen doppelten Boden auszeichnet oder dass jene Krücke, die an der Wand lehnt, mit einem Scheinwerfer und einem Schlusslicht versehen ist. (...)
Dass der Erfindergeist in der Industrie nach wie vor rege ist, beweist der Betrieb in den Lese- und Auslegehallen des Patentamts. Die Tische sind meist voll besetzt; vor den Konstrukteuren, Werbeleitern und Studenten stapeln sich Patentschriften, Gebrauchsmusterrollen und Warenzeichenblätter“ (SZ 01.07.1952).
Das 75. Jubiläum des Patentamts wurde 1952 mit einem Festakt im Kongresssaal des Deutschen Museum gefeiert, an dem u.a. die Leiter der Patentämter aus dem Vereinigten Königreich, Griechenland, Niederlande, Österreich, Spanien und der Schweiz teilnahmen (SZ 02.07.1952). Ein deutliches Zeichen, das Deutschland zumindest im gewerblichen Rechtsschutz langsam seinen alten Platz in den internationalen Beziehungen wieder einnehmen durfte.
Planungen für einen Neubau
Wunsch in Erfüllung gegangen
„Mit der Übersiedlung des Patentamtes von Berlin nach München ist gleichzeitig ein jahrzehntealter Wunsch Bayerns in Erfüllung gegangen: eine größere höhere Reichs- bzw. Bundesbehörde in die bayerische Landeshauptstadt zu verlegen.“
(Süddeutsche Zeitung vom 10.02.1950)
Die Beschäftigtenzahl hatte sich jetzt verdreifacht: „Heute beschäftigt das Deutsche Patentamt an die 1200 Menschen“, schrieb die „Süddeutsche“ (SZ 01.07.1952). Das Provisorium im Deutschen Museum, immerhin eine angemietete Fläche von 12 000 Quadratmetern, stieß endgültig an seine Grenzen.
Die Planungen für einen Neubau für das Amt nahmen rasch Gestalt an. Am 27.03.1953 meldete die SZ, dass sämtlichen Mietern der Schweren-Reiter-Kaserne an der Ludwigsbrücke gekündigt worden sei. Der auch als „Neue Isarkaserne“ bekannte Bau von 1811, der dem Museum direkt gegenüber auf der anderen Isar-Seite lag, war im Krieg schwer beschädigt worden. Von der Räumung waren laut SZ 25 Firmen und einige Privatleute betroffen.
Im August erfuhren die Leser der SZ, dass der Abbruch der Kaserne fast beendet und die Planungen für den Neubau des Patentamtes abgeschlossen seien: „Der Neubau wurde notwendig, weil die vom Patentamt bis 1958 angemieteten Räume im Bibliotheksbau des Deutschen Museums den erhöhten Anforderungen des Amtes nicht mehr entsprachen. Bei der Inbetriebnahme des DPA im Jahre 1949 hatte man mit etwa 35.000 Patentanmeldungen pro Jahr gerechnet. Diese Zahl wurde aber weit übertroffen: 1950 waren es bereits über 53.000, zwei Jahre später rund 58.000. Die letzten Berichte sprechen von 60.000 Patentanmeldungen, 25.000 Anmeldungen für Warenzeichen und 50.000 für Gebrauchsmuster. Das Personal musste im Lauf der Jahre verdoppelt werden. Im nächsten Jahr wird das Amt bereits 2000 Beamte und Angestellte zählen“ (SZ 18.08.1953).
Zeremonie mit Zweifeln
Am 21. September 1953 wurde der Grundstein für den Neubau an der Zweibrückenstraße gelegt. Im Juli 1954 feierte man das Richtfest des ersten Bauabschnitts. War damit der Verbleib des Patentamts in München endgültig besiegelt? Nein! In den Festakt mischten sich laut SZ-Bericht irritierende Töne:
„Die Frage des Verbleibs des Patentamtes in München wurde von Ministerialdirigent Dr. (Günther) Joel vorsichtig gestreift, indem er sagte, „daß auch hier die letzte endgültige Entscheidung erst dann getroffen werden könne, wenn die unser Vaterland jetzt noch durchschneidenden Grenzen gefallen sein werden“.
Zumindest die Bauarbeiter nahmen es mit Humor. Der Polier Georg Rippert sagte in seinem Richtspruch (laut SZ vom 12.07.1954):
„Das Patentamt kommt auf diesen Platz,
das früher gewesen ist in Berlin.
Vielleicht kommt´s später wieder hin.
Dann machen wir, wenn auch nicht gern,
das Haus halt wieder zur Kasern´.“
Das Bundeskabinett hat Bedenken
Die Sorgen waren berechtigt, wie ein Blick in das Protokoll der 30. Kabinettssitzung vom 28. April 1954 zeigt. Dort wurde die Vorlage des Finanzministers zum Neubau eines Dienstgebäudes (geschätzte Kosten: 22,7 Millionen Mark) für das Patentamt in München besprochen.
Die Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen bzw. für besondere Aufgaben machten „schwerwiegende Bedenken“ gegen den Neubau in München geltend: „Gerade der gegenwärtige Zeitpunkt sei unter Berücksichtigung politischer Gesichtspunkte für die Inangriffnahme dieses Neubaus sehr ungünstig. Es müsse zumindest nach außen hin erkennbar werden, daß es sich nur um eine provisorische Lösung handele.“
Justiz-Staatssekretär Dr. Walter Strauß legte dar, daß das Amtsgebäude des ehemaligen Reichspatentamtes in Berlin beschädigt und veraltet sei, so daß für die Renovierung erhebliche Beträge aufgewendet werden müßten. Man habe sich seinerzeit entschlossen, München als Sitz zu wählen, weil die Bayerische Regierung das günstigste Angebot gemacht habe, so Strauß. Er sei überzeugt, daß bei einer Wiedervereinigung Berlin im Hinblick auf den Zuzug aller maßgeblichen Bundesbehörden jedes Interesse am Deutschen Patentamt verlieren würde, so Strauß mit bemerkenswertem Weitblick.
„Raumverhältnisse nicht mehr tragbar“
Das Patentamt habe im übrigen einen ganz erheblichen Publikumsverkehr, so Strauß weiter. Es sei daher der Wirtschaft „kaum zuzumuten“, wenn es in Berlin untergebracht würde. Überdies sei beabsichtigt, eine Vereinbarung mit dem Freistaat Bayern zu treffen, dass dieser das Gebäude im Falle der Verlegung des Patentamtes nach Berlin übernimmt. Damit würde die endgültige Entscheidung über den Sitz des Deutschen Patentamtes „nicht präjudiziert“ werden. In jedem Falle, so Strauß weiter, sei der Neubau des Patentamts äußerst dringend, da die gegenwärtigen Raumverhältnisse „nicht mehr tragbar“ seien.
Im Laufe der weiteren Aussprache gab der Bundesminister für Wohnungsbau (Victor-Emanuel Preusker) zu bedenken, ob nicht auch seinerzeit bei der Wahl des Sitzes politische Bedenken gegen eine Verlegung nach Berlin bestanden hätten und ob diese Bedenken nicht auch heute noch Geltung hätten. Der Vizekanzler (Franz Blücher) bestätigte, dass seinerzeit die politische Gefährdung für die Wahl des Sitzes des Patentamtes mitbestimmend gewesen sei.
Nach Ansicht des Innenministers (Gerhard Schröder) war die Frage einer eventuellen späteren Verlegung des Patentamtes von München nach Berlin weniger eine Frage der Gebäudekosten, sondern mehr eine Frage der Umsiedlung der in dem und mit dem Patentamt arbeitenden Menschen. Er habe keine Sorge, so das Protokoll, dass sich für den zukünftigen Neubau des Patentamtes in München jederzeit eine geeignete Verwendung finden ließe. Auch der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen (Siegfried Balke) war der Meinung, dass die vordringlichste Aufgabe darin bestände, das Patentamt arbeitsfähig zu gestalten. Zur Zeit seien die Arbeitsverhältnisse "unhaltbar".
Nachdem sich die „weitaus überwiegende Mehrheit“ des Kabinetts für den Neubau in München ausgesprochen hatte, gab es dem Antrag des Finanzministers seine Zustimmung.
Tatsächlich verzögerte die Diskussion über eine Rückkehr nach Berlin die Fertigstellung des Neubaus in München erheblich. Die Bautätigkeit habe zwischendurch ein Jahr lang geruht, berichtete die SZ später (SZ 03.04.1959).
Sonnenuhr und Schlange
Der Neubau vollzog sich in drei Etappen: Den Anfang machte der so genannte Atriumbau mit seinen fünf Stockwerken an der Zweibrückenstraße auf dem Grundriss der abgerissenen Kaserne. An sie erinnert übrigens heute noch ein Relief im Innenhof des Patentamts über dem Ausgang zur Zweibrückenstrasse.
An der Außenseite dieses Durchgangs findet sich eine sehenswerte Supraporte mit dem Relief einer Schlange (als Symbol der Weisheit und Erneuerung) aus Basaltlava des Bildhauers Fritz Koenig. Für den Innenhof, dessen Fassaden durch in Grautönen behandelte Putzflächen gegliedert sind, schuf Koenig einen markanten Brunnen aus Nagelfluh.
Ein weithin sichtbares Kunstwerk befindet sich direkt über dem Eingang an der Zweibrückenstrasse. Hier sind zwei große Halbkugeln aus Metall in luftiger Höhe angebracht. Sie verweisen auf das berühmte Magdeburger Experiment von 1656, mit dem Otto von Guericke die Existenz des Luftdrucks nachwies.
Das größte Am-Bau-Kunstwerk des Patentamts ist jedoch die Sonnenuhr im Innenhof des Atriumbaus. Ihr Zifferblatt erstreckt sich über den gesamten Boden des Hofes – auch wenn es nicht auf den ersten Blick als solches zu erkennen ist. Der Zeiger der Sonnenuhr ist ein Schatten-Eck, das zwei Traufkanten des Gebäudes werfen. Der Zeiger wandert mit der Sonne über das „Zifferblatt“ in Form langgezogener „8“-Kurven hinweg. Die gewaltige Sonnenuhr zeigt auch die Tierkreiszeichen und die Monate des Jahres an.
„Gefährlicher Zustand der Überlastung“
1954 war es allerhöchste Zeit für diesen Neubau: „Anmeldungsflut erstickt Patentamt“, titelte die SZ im Juli: „Mit Sorge müsse man der weiteren Entwicklung des DPA entgegensehen, erklärte Bundesjustizminister Fritz Neumayer (…) Die Zahl der eingehenden Anmeldungen für gewerbliche Schutzrechte steige ständig“ (SZ 31.07.1954).
„Weite Kreise der Wirtschaft sind an einem guten und schnellen Funktionieren des Deutschen Patentamts interessiert. Leider ist der heutige Zustand alles andere als befriedigend“, klagte auch die FAZ – allerdings mit viel Verständnis für die Situation: „Zwei Faktoren sind es besonders, die einen gefährlichen Zustand der Überlastung herbeigeführt haben. Erstens hat das Patentamt fünf Jahre lang, von 1945 bis 1949, nicht arbeiten können; alle die während des Krieges vom Reichspatentamt nicht erledigten Anmeldungen und die in der Zwischenzeit entstandenen Erfindungen sind ihm dann zur Bearbeitung überwiesen worden. Zweitens hat das Amt den in den einzelnen Prüfstellen gesammelten Prüfstoff verloren und muß ihn nunmehr erst langsam wieder aufbauen. Dazu kommt noch, dass die größere Vitalität der deutschen Industrie in der Bundesrepublik überhaupt höhere Anforderungen an das DPA in München stellt“ (FAZ 24.05.1954).
Mehr Platz!
Mitte 1956 vermeldete die „Süddeutsche“ den Beginn des zweiten Bauabschnitts. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete noch immer ein großer Teil der Beschäftigten im Deutschen Museum, der neue Atriumbau war aber mittlerweile schrittweise bezogen worden. Bis Ende des Jahres erwarte man die Anmeldung des millionsten Patents seit der Gründung des Amts, berichtete die Zeitung. Und: „Die Zahl der in München ansässigen Patentanwälte und Patentingenieure steigt fortgesetzt“ (SZ 28.06.1956).
Man brauchte also mehr Platz – für Verwaltungsmitarbeiter, Bücher, Dokumente: „Im Patentamt hat man es überall mit ansehnlichen Größenordnungen zu tun. 360 000 Bände umfasst die Bibliothek, die größte technische Bücherei Europas. 2,8 Millionen Patentschriften allein aus den Vereinigten Staaten liegen hier aus. Das Recht der Alliierten auf Einsicht und Überprüfung besteht nicht mehr, doch dafür gibt es wieder Geheimpatente über Erfindungen, die aus Gründen der Staatssicherheit nicht bekanntgemacht werden dürfen“ (FAZ 01.10.1957).
Vor allem aber brauchte man Platz für die Prüfer und ihre Arbeit: „Die Seele des Patentamts ist der Prüfer“, schrieb die FAZ 1957. „Fünfhundert von ihnen haben sich in München in verantwortungsvoller Arbeit mit den in den letzten Jahren fast konstant gebliebenen sechzigtausend neuen Eingängen zu befassen. Wenn der tickende Uhrzeitstempel des Patentamts auf die Anmeldung gedrückt ist, beginnt der dornenreiche und manchmal schmerzlich lange Weg des Erfinders bis zur Verwertung seiner Idee. Er darf im allgemeinen, wenn alles gut geht, nach zwei Jahren mit der Bekanntmachung seiner Anmeldung rechnen“ (FAZ 01.10.1957).
„Neuer Monsterbau“
Insgesamt sechs Jahre, von 1954-59, dauerte es, bis der gesamte Neubau unter Leitung des Landbauamts München fertig gestellt war. Entworfen hatten das Ensemble die beiden Architekten Franz Hart und Helmuth Winkler – für beide war es das größte Projekt ihrer beruflichen Laufbahnen. Es besteht aus drei Komponenten: dem Hochhaus entlang der Erhardtstraße, der ihm vorgelagerten flachen („unschönen bunkerartigen“ - SZ) Patentauslegehalle sowie dem Atriumbau mit seinem großen Innenhof an der Zweibrückenstraße.
Charakteristisch ist der Konstruktions- und Materialwechsel von massiven Ziegel-Lochfassaden (Atriumbau), Ziegelausfachung einer feingliedrigen Stahlbetonkonstruktion (Hochhaus) und Natursteinverkleidung (Auslegehalle).
Der „Spiegel“ schrieb damals vom „neuen Monstrebau (sic!)“ des Patentamts (Nr. 31/1959). Das zwölfgeschossige Hochhaus war seinerzeit das höchste Amtsgebäude in München. Es erstreckt sich auf dem südlichen Grundstücksteil parallel zur Isar und bildet eine städtebauliche Dominante, die noch heute weithin sichtbar ist. Damals normal, heute ein nostalgisches Highlight: der Paternoster-Aufzug im Hochhaus. Als einer der wenigen hat er alle Renovierungen und die immer strenger werdenden Sicherheitsvorgaben überlebt und ist bis heute in Betrieb.
„Künstlerisch ambitionierte Moderne“
„Das Gebäude ist Zeugnis einer Architektur, die der Tradition einer kontextbewussten und künstlerisch ambitionierten Moderne folgt, die typisch für die Münchner Architektur ist“, hieß es Jahrzehnte später, als der Komplex in die Jahre gekommen war und einer Generalsanierung unterzogen wurde. „Die Fassaden bilden ein Gleichgewicht zwischen formaler Strenge und Reichtum des Details: Charakteristisch für beide Bauteile ist das ausfachende rote Ziegelmauerwerk.“
„Ein neues Patentamt“, titelte FAZ am 4. April 1959: „Der in sechs Jahren für 26,5 Millionen Mark errichtete Neubau des DPA in München ist am Freitag durch Bundesjustizminister (Fritz) Schäffer eingeweiht worden. In dem 200 Meter langen und zum größten Teil 38 Meter hohen Gebäude an der Isar gegenüber dem Deutschen Museum sind 1300 Räume für die über 1900 Beschäftigten vorgesehen.“ 56 000 Quadratmeter Bürofläche standen nun zur Verfügung. „Die Geheimpatente werden in einem meterdicken Tresor aufbewahrt“, schrieb die SZ (01.10.1959).
Bücher am laufenden Band
Eine der vielen Besonderheiten des Neubaus war seine automatische Buchförderanlage im zweiten Untergeschoss des Hochhauses. Die Förderstrecke war 98 Meter lang, zog sich durch die gesamte Bibliothek und befüllte einen Kleinlastenaufzug mit 40 Tragrahmen. Sie konnte rund 3 000 Bücher und Schriften pro Tag befördern. Die Ausgabe der bestellten Werke erfolgte an mehreren Stellen des Hochhauses, und zwar in sämtlichen 11 oberen Stockwerken. Die Umlaufaufzug-Anlage von Siemens & Halske hatte eine Gesamtförderhöhe von 41,10 Metern und konnte pro Stunde bis zu 510 Spezialförderkästen für Schriftgut bewegen.
Derrick & Der Alte ermitteln im Patentamt
Diese außergewöhnliche Buchförderanlage sollte später eine tragende Rolle in einem Krimi spielen, der 1990 im DPMA gedreht wurde: Folge 184 der seinerzeit enorm populären und weltweit erfolgreichen Krimi-Serie „Derrick“ hieß „Tödliches Patent“. In einer Schlüsselszene kam auf diesem Förderband eine Leiche daher gerollt. Der Mörder hatte sein Opfer – einen Prüfer – nach der Tat in der unterirdischen Bibliothek auf das Band gepackt. Natürlich löste Kommissar Derrick (der Name ist übrigens eine beim DPMA geschützte Wortmarke; 1022323) den Fall souverän. Am Ende der Folge standen der TV-Inspektor und der Darsteller des Präsidenten des Patentamtes gemeinsam auf der Dachterrasse des Amtes und philosophierten über die Abgründe der menschlichen Seele.
Die spektakuläre Aussicht auf die Münchner Innenstadt von dieser Terrasse („eine ideale Plattform für Photos der Stadtsilhouette“, staunte die SZ zur Eröffnung) machte das DPMA immer wieder zum begehrten Drehort. Die Münchner Skyline, die im Vorspann der beliebten Serie „Pumuckl“ zu sehen ist, wurde ebenso vom Dach des Amtes gefilmt wie etliche andere solcher Ansichten in Fernsehserien. Von den vielen Filmaufnahmen, die hier im Laufe der Zeit gemacht wurden, seien nur die „Tatort“-Folge „Der Gesang der toten Dinge“ (2008), diverse Episoden von „Der Alte“ oder die Komödie „Ich Chef, du nix“ (2005) mit den Darstellern von „Erkan & Stefan“ erwähnt.
Einst umstritten, heute Denkmal
„Hier findet das Talent sein Patent“ betitelte die „Süddeutsche“ ihren Bericht zum Abschluss des Neubaus. „Seit dem ersten Spatenstich auf dem Gelände der ehemaligen Schweren-Reiter-Kaserne sind sechs Jahre vergangen. (…) Mit der jetzigen Einweihung des nach den genauen Wünschen des Patentamts errichteten Behördenkomplexes dürfte das Verbleiben des ehemaligen Berliner Amtes in München sichergestellt sein“ (SZ 03.04.1959).
Nicht allen gefiel das neue Patentamt, laut SZ damals der größte neu erbaute Verwaltungsbau der Bundesrepublik: „Das 120 Meter lange Hochhaus längs der Isar war in seiner architektonischen Form umstritten. Und vor allem die Bewohner der umliegenden Häuser protestierten heftig gegen den gewaltigen Steinkoloss. Sie hatten schon vorher, beim ersten Bauabschnitt, gegen die Backsteinfassade des Patentamts opponiert“ (SZ 01.10.1959). Heute gilt der Neubau als qualitätvolles Beispiel der Architektur der 1950er Jahre und als Baudenkmal.
Magnet München
Im Anziehungsfeld des Patentamtes siedelten sich nicht nur zahlreiche Patentanwälte und Kanzleien an. Aus dem "Institut für ausländisches und internationales Patent-, Marken- und Urheberrecht", das noch auf Anregung von DPA-Präsident Reimer an der Ludwig-Maximilians-Universität entstanden war, wurde 1966 das "Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht", mittlerweile „Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb“. München wurde 1961 auch Sitz des neuen Bundespatentgerichts.
Als die Überlegungen für ein europäisches Patentamt in den 1960er Jahren konkreter wurden, engagierten sich München, Bayern, der Bund und nicht zuletzt die Präsidenten des Patentamts mit größtem Einsatz, um es an die Isar zu holen. Mit Erfolg: 1977 wurde direkt neben dem Deutschen das Europäische Patentamt erbaut.
„Doch es sind nicht nur die Institutionen, die München zur Patenthauptstadt machen, es sind auch die Unternehmen, die Patente anmelden“ resümierte die „Süddeutsche“ vor einigen Jahren. „Mit Siemens und BMW sind zwei der fünf fleißigsten Innovatoren in München daheim. Und was die Patentanmeldungen angeht, die beim EPA eingehen, schlägt München alle übrigen deutschen Städte, und London, Paris und Seoul gleich mit“ (SZ 16.09.2015).
So wurde aus einem Provisorium in Untermiete Europas Zentrum für gewerblichen Rechtsschutz.
Bilder: DPMA
Stand: 02.10.2024
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