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Schwierige Jahre, große Veränderungen: Das Patentamt von 1911 bis 1920
Kaiserliche Anordnung vom 10. März 1911
1911. Die Schutzrechtsanmeldungen und das Personal wachsen stetig, das Amt hat ein repräsentatives Domizil in der Gitschiner Straße in Berlin und erfolgreiche Schritte auf internationaler Bühne lassen es selbstbewusst strahlen. Der "Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums" (PVÜ) war das Deutsche Reich bereits 1903 beigetreten.
Vom Ende einer Jugend
Die Patentanmeldungen stiegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts unaufhörlich. Waren es 1900 noch 21 925 Anmeldungen, so hatte sich diese Zahl nur 11 Jahre später mehr als verdoppelt: 49 532 Anmeldungen waren im Jahre 1913 zu verzeichnen. Der Personalbedarf erreichte unvermutete Höhen. Kaiser Wilhelm II. verlängerte daher am 10. März 1911 die Frist, Hilfskräfte zu beauftragen, um drei Jahre. Am 11. Mai ordnete er außerdem eine zweite Abteilung im Patentbereich an, die "Anmeldeabteilung XII", die der 1908 eingerichteten Abteilung XI folgte.
Reformen, die der Krieg verhinderte
Der gewerbliche Rechtsschutz in Deutschland sollte am Vorabend des Ersten Weltkrieges eigentlich weiter reformiert werden. Die Reichsregierung veröffentlichte 1913 einen Gesetzesentwurf, der neben rechtlichen auch organisatorische und personelle Änderungen vorsah. Nahezu revolutionär war, dass dem Erfinder eine höhere Bedeutung zukommen sollte. Das Erfinderprinzip und das Arbeitnehmererfinderrecht waren Teil der geplanten neuen Regelungen.
Die Instanz eines Einzelprüfers sollte die Organisation des Patentamtes vereinfachen und damit geringere Kosten für ein Patent verursachen. Der Einzelprüfer sollte den Vorprüfer ersetzen und so die Anmeldeabteilungen entlasten.
Die im Beschwerdebereich existierenden Senate, jeweils bestehend aus fünf Personen, sollten einem "Großen Senat" untergeordnet werden, der über grundsätzliche Rechtsfragen zu entscheiden gehabt hätte.
Dem Reichskanzler oblag es, fachlich geeignetes Personal einzustellen. Hierfür bedurfte er in jedem Fall einer Sondergenehmigung des Kaisers. Um diesen Zeitaufwand einzusparen, sollte der Reichskanzler eine gesetzliche Ermächtigung erhalten. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte die Umsetzung der Reformen vorerst zunichte. So endete die erste große Ära des Kaiserlichen Patentamts.
Frauen und andere Erschütterungen
Präsident Heinrich Robolski 1912-1921
Am 28. Juni 1914 beendete das Attentat von Sarajevo auf Erzherzog Franz Ferdinand, Thronfolger der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, den jahrzehntelangen Frieden; am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Über die Hälfte der Beschäftigten des Patentamtes zogen als Soldaten in den Ersten Weltkrieg. Die Zahl der Anmeldungen sank zwangsläufig, dennoch konnten die verbliebenen Mitarbeiter diese nicht bewältigen. Immer noch gingen während der Kriegsjahre pro Jahr weit über 20 000 Patent-, über 25 000 Gebrauchsmuster- sowie etwa 12 000 Warenzeichenanmeldungen ein.
Organisatorische und personelle Änderungen waren die Angehörigen des Amtes wahrlich gewohnt, aber darauf waren sie nicht vorbereitet: das Kaiserliche Patentamt öffnete Frauen die Tore für ein Arbeitsverhältnis. Dass dem weiblichen Geschlecht eine gleichbedeutende Rolle wie dem männlichen zukommen sollte, lag außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Die Rolle der Frau beschränkte sich zu damaliger Zeit auf die einer Gattin und Mutter. Die Frauen im Amt wurden daher lediglich als Hilfskräfte im Bürobereich eingesetzt. Präsident Heinrich Robolski schätzte ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung eines hinlänglich geregelten Betriebes.
Übrigens trat am 30. November 1918 das Reichswahlgesetz mit dem Wahlrecht für Frauen in Kraft - in der Tat eine Zeit des Aufbruchs.
Trotz des Krieges erschien am 9. März 1917 die "Bekanntmachung über Vereinfachungen im Patentamt" in Anlehnung an den Regierungsentwurf von 1913. Die neue Instanz eines Einzelprüfers (technisches Mitglied) ersetzte die Geschäfte des Vorprüfers und der Anmeldeabteilung hinsichtlich der Patentanmeldung und Patenterteilung. Die Beschwerdeabteilung wurde von fünf auf drei Prüfer reduziert, von denen zwei Techniker sein mussten.
Vom Reichskanzler Georg Michaelis ging der für das Amt historisch wichtige Erlass vom 21. Oktober 1917 aus. Das Kaiserliche Patentamt wurde dem Geschäftsbereich des Reichsjustizministers zugeordnet. Bis dahin gehörte es dem Reichsamt des Innern an.
Revolution und Reichspatentamt
Schreibmaschinensaal im Reichspatentamt (Quelle: DPMA-IDZ, Berlin)
Das Amtsgebäude in Berlin hatte den Krieg unbeschadet überstanden. Lediglich während der Novemberrevolution kam es bei Straßenkämpfen zu zerschossenen Fensterscheiben. Einige diensteifrige Amtsangehörige schlichen über Umwege zum Amt und fanden in ihren Dienstzimmern von Kugeln durchlöcherte Akten vor.
Ab 1919 stiegen die Anmeldezahlen schlagartig. Im Jahr 1917 waren es noch 24 458 Patenanmeldungen und 23 121 Gebrauchsmusteranmeldungen gewesen. Bereits 1920 lag der Eingang im Patentbereich bei 53 527 sowie im Gebrauchsmusterwesen bei 52 467. Dies überlastete die Prüfungsstellen erheblich und die Verfahrensdauer verlängerte sich.
Wenig förderlich war, dass 1920 Prioritätsfristen und Laufzeiten von Patenten und Gebrauchsmustern auf internationaler Ebene um die Kriegsjahre verlängert wurden. Das bedeutete eine Verlängerung des Laufzeitendes eines Schutzrechts zum Beispiel vom 11. November 1915 auf den 11. November 1918. Diese Änderung musste für jedes betroffene Schutzrecht schriftlich fixiert werden. So entstand das erste zentrale Schreibbüro des Amtes mit 20 Schreibkräften an mechanischen Schreibmaschinen.
Mit dem Niedergang des Kaiserreiches endete auch die Epoche des Kaiserlichen Patentamts. Am 24. März 1919 ordnete Präsident Robolski die neue Amtsbezeichnung "Reichspatentamt" an.
Bilder: DPMA (soweit nicht anders angegeben)
Stand: 18.06.2024
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