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Architektonisch raffiniert: Das Kaiserliche Patentamt von 1901 bis 1910
Negative Folgen! Das war es, was viele - auch bekannte Persönlichkeiten wie Otto von Bismarck - befürchteten, als das Kaiserliche Patentamt 1877 errichtet wurde. Sie sahen die "natürliche Erwerbssphäre" von Nachahmern oder den industriellen Fortschritt gefährdet. Diese Angst ebbte jedoch ab und 1902 erkannte der damalige Staatssekretär des Innern, Graf von Posadowsky-Wehner, das Amt als etabliert an: "Auf den meisten Gebieten" sei "der Zusammenhang zwischen industriellem Fortschritt und Patentschutz ein so inniger, daß unser gewerbliches Leben ohne den Patentschutz nicht mehr zu denken ist."
Plante das Amt vorausschauend?
Präsident Otto von Huber (1895-1902)
Davon konnte, zumindest beim ersten Neubau 1891 in der Luisenstraße in Berlin, keine Rede sein. Kurz nachdem das Gebäude fertiggestellt war und bezogen wurde, stand fest, dass es zu klein war. Präsident Otto von Huber (1895 bis 1902) war fest entschlossen, den unglücklichen Umstand des jahrelangen Umziehens künftig zu vermeiden. Noch in seinem letzten Amtsjahr bewilligte er den Bauplan eines imposanten neuen Gebäudes.
Alleine die notwendige Baufläche maß grandiose 23 600 Quadratmeter, eine Fläche größer als zwei Fußballfelder. Ein solch großes Gelände war nicht leicht zu finden, zumal es möglichst zentral liegen sollte. Die Liegenschaft einer leer stehenden Kaserne (Garde-Kürassier-Kaserne) schien geeignet, es fehlten aber mehrere hundert Quadratmeter, die zu privaten Grundstücken gehörten. Zu welchem Kaufpreis sich deren Eigentümer bereit erklärten, an das Kaiserreich zu verkaufen, ist leider nicht übermittelt. Das Gebiet erstreckte sich - wie heute noch - über die gesamte Länge der Gitschiner Straße von der Alten Jakobstraße bis zur Alexandrinenstraße.
Der Neubau
Kaiserliches Patentamt, Haupteingang
Das Amt wurde in einem gewerbereichen Viertel, der Luisenstadt im heutigen Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg, platziert und sollte repräsentativ, aber nicht protzig wirken. Die Architekten Solf und Wichards planten einen Mischstil aus Neubarock (wie zum Beispiel der Justizpalast in München) und Neorenaissance (klassizistische Bauten wie zum Beispiel die Kunstakademie München).
Der Haupteingang an der Ecke Alte Jakobstraße und Gitschiner Straße wurde mit zwei Ecktürmen verziert, wirkte imposant und versprach Großes. Überschritt der Besucher damals die Schwelle in die Eingangshalle, könnte er vor Staunen still gestanden haben. Der Blick fiel unweigerlich auf eine die ganze Breite der Eingangshalle einnehmende Treppe aus Stein, welche zur Höhe des Erdgeschosses führte. Gleichzeitig wurde ein Gefühl erweckt, als betrachte die Person eine Kathedrale mit Kreuzrippengewölbe. Im oberen Bereich der Treppe ragten mehrere Säulen empor, deren Kapitelle das Gewölbe trugen. Dort droben stand der Portier, in schmucker Uniform mit Diensthut und zweifellos kaiserlich preußischem Diensteifer.
Kaiserliches Patentamt, Eingangshalle
Der Komplex verfügte über 700 Diensträume für knapp 1 000 Beschäftigte (und damit viermal mehr als zuvor), 12 Sitzungssäle, 11 Kassenräume, 3 Säle für die Kanzlei (Rechtsangelegenheiten) und eine große Auslegehalle. Die Bibliothek war in einem eigenen Gebäudeteil über 6 Stockwerke hinweg untergebracht. In die einzelnen Etagen gelangte man über Steintreppen mit steinernen Handläufen und von steinernen Säulen getragen. Dies alles in nüchterner, aber doch verspielter, in Stein geschlagener Verzierung. Aus seiner großen repräsentativen Dienstwohnung, die sich über den ersten und zweiten Stock erstreckte, konnte der Präsident direkt in seine Amtsräume gelangen. Der Bürovorsteher durfte im Erdgeschoss eine Dienstwohnung beziehen und im Sockelgeschoss standen 13 kleinere Beamtenwohnungen zur Verfügung.
Der Umzug
Präsident Dr. Carl Hauß (1902-1912)
Der Umzug von der Luisenstraße in die Gitschiner Straße fand nach nur 28 Monaten am 8. September 1905 unter dem neuen Präsidenten Dr. Carl Hauß (1902-1912) statt. Das Berliner Tageblatt berichtete fünf Tage vor dem geplanten Umzug: "Es wird einer der größten Umzüge, die jemals in Berlin zu verzeichnen waren. Nicht weniger als 100 Möbelwagen sind bestellt worden, um den Umzug in 12 Arbeitstagen zu bewerkstelligen; die Kosten werden sich auf etwa 50 000 Mark belaufen." Der Neubau selbst kostete 7,75 Millionen Mark und die neue Möblierung 200 000 Mark. Um den Wert einer Mark zur damaligen Zeit einordnen zu können, ein Beispiel aus dem Jahr 1905: 5 Liter Milch kosteten 1 Mark.
Einige der Beamten besichtigten vorab die Amtsstuben, so das Berliner Tageblatt, um beim Umzug informiert zu sein. Denkbar, dass sie sicher gehen wollten, ob die Raumgröße diesmal ausreichte oder ob sie in Bälde erneut umziehen müssten. Präsident Dr. Carl Hauß war überzeugt, der Aufbau sporne seine Beamten an, diensteifrig und euphorisch die Mehrarbeit anzugehen. Seine Lobpreisung auf den Fleiß einiger "Reichsdiener" verwundert nicht, sie hätten während des Umzuges im Inneren der Möbelwagen weiter gearbeitet.
Das Dienstgebäude gehörte während der Jahrhundertwende zu Berlins größten Bauten und steht heute unter Denkmalschutz. Es beherbergt, neben anderen, das Deutsche Patent- und Markenamt mit seinem Technischen Informationszentrum.
Reizvolle Stimmungen unter den Beamten
"Allgemeine Vorschriften für die Beamten" von 1901
Die "Allgemeinen Vorschriften für die Beamten des Kaiserlichen Patentamts", von Präsident Otto von Huber 1901 bestätigt, eröffnen interessante Einblicke in den Dienstalltag.
Damit die Ordnung im Dienstgebäude eingehalten wurde, galt für Beamte die durchaus effektive Regelung, dass der "Aufenthalt in anderen, als den ihnen zugewiesenen Arbeitsräumen ... nur aus dienstlicher Veranlassung gestattet" war. Möglicherweise zweifelten besonders einige der technischen Hilfsarbeiter an deren Sinnhaftigkeit. Ein Zeitzeuge schilderte einen folgenschweren Vorfall: Technische Hilfsarbeiter seien einige Male im Zimmer eines Kollegen zusammengekommen, um "ihre persönlichen Angelegenheiten zu besprechen". Diesem "Mißbrauch der Dienstzeit und des Dienstraumes" wurden sie "allesamt eines gemeinsamen Vergehens schuldig" gesprochen. Das Delikt wurde geprüft, "das Gros der Sünder, von Ausnahmen abgesehen," kam "noch glimpflich davon, doch kehrten einige Kollegen, und darunter nicht die schlechtesten, dem Amte freiwillig den Rücken".
Die Zeit, in der die Anwesenheit vorgeschrieben war, richtete sich nach der Dienststellung. "Die Herren hauptamtlichen Mitglieder" wurden ersucht, sich im "Interesse der Erleichterung des mündlichen Geschäftsverkehrs" von 11 bis 14 Uhr im Dienstgebäude aufzuhalten. Sollten sie es in diesem Zeitraum verlassen, musste auf dem Arbeitstisch ein Zettel mit der Abwesenheitsdauer hinterlassen werden. Die technischen Hilfsarbeiter hingegen hatten in der Zeit von 9 bis 15 Uhr anwesend zu sein. Wollten sie aus besonderen Gründen das Dienstgebäude verlassen, war durch sie selbst "in dem ausliegenden Meldebuche eine Eintragung zu bewirken, welche den Zeitpunkt der Eintragung, den Grund und die Dauer der Abwesenheit erkennen läßt." Es scheint, dass die heutige Kernarbeitszeit im Deutschen Patent- und Markenamt auch noch nach 116 Jahren diesem Vorbild nachgestaltet ist.
Geistiges Neuland
Luftaufnahme des Berliner Patentamt-Gebäudes (Quelle: Bavaria Luftbild Verlags GmbH)
Das Amt bestand nun über 20 Jahre, in denen sich weder die technischen Hilfsarbeiter noch die Juristen langweilten, da "es sich um ein Gebiet handelte, das noch nicht durch eine Jahrhunderte alte Rechtsprechung verbaut war, sondern auf dem man bei hinreichender freier Auffassung in Wahrheit geistiges Neuland bebauen konnte". Und das betraf im Jahre 1900 über 600 Mitarbeiter, nur ein Jahr später 729. Darunter Beamte und Hilfskräfte, davon 18 hauptamtliche rechtskundige Mitglieder, 71 hauptamtliche technische Mitglieder und 28 nebenamtliche technische Mitglieder.
Die Anmeldungen von Schutzrechten stiegen seit Jahren auf hohem Niveau, was 1905 zu einer zweiten und 1910 zu einer dritten Warenzeichenabteilung führte. Am 14. Mai 1908 ordnete Kaiser Wilhelm II. sogar an, eine eigene Abteilung für Patentanmeldungen zu bilden, welche die Bezeichnung "Anmeldeabteilung XI" führte.
Das Patentamt auf internationaler Ebene
Prüfer in der Bibliothek
Am 1. Mai 1903 trat Deutschland der "Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums" (PVÜ) vom 20. März 1883 bei. Es handelt sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag, der auch heute noch Gültigkeit besitzt und Regeln für die Zusammenarbeit der internationalen Mitgliedstaaten vorgibt. So fortschrittlich und weltoffen konnte sich das Deutsche Kaiserreich hierdurch zeigen, obwohl es doch erst vor 26 Jahren zu einem einheitlichen Patentschutz auf Reichsebene gekommen war. Die PVÜ beinhaltet Patent-, Marken- und Musterrechtsgrundsätze, darüber hinaus aber auch Regelungen gegen den unlauteren Wettbewerb. Dazu gab es seit dem 1. Juli 1896 das "Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs" im Kaiserreich.
Artikel 4 A Absatz 1 PVÜ enthält die Regelung zur Priorität, auch Unionspriorität genannt. Dadurch genießt Schutz: "Wer in einem der Verbandsländer die Anmeldung für ein Erfindungspatent, ein Gebrauchsmuster, ein gewerbliches Muster oder Modell, eine Fabrik- oder Handelsmarke vorschriftsmäßig hinterlegt hat, oder sein Rechtsnachfolger genießt für die Hinterlegung in den anderen Ländern während einer Frist von sechs Monaten bzw. einem Jahr ein Prioritätsrecht". Das heißt: Ab dem Anmeldetag darf der Anmelder die Erfindung, innerhalb einer Frist, auch in einem anderen Mitgliedstaat anmelden und behält den Tag der ersten Anmeldung als Prioritätstag.
Ein weiteres bedeutendes Prinzip ist der Grundsatz der Inländerbehandlung, der in Artikel 2 Absatz 1 PVÜ verankert ist. Für Angehörige eines jeden Verbandslandes gelten bei der Anmeldung eines Schutzrechtes in einem anderen als dem eigenen Land die Gesetze zum Schutz des gewerblichen Eigentums des jeweiligen Landes.
Die Verschwiegenheit der kaiserlichen Beamten
Neue Ideen bedeuten Fortschritt, suggerieren Aufbruch, Abenteuer, Wohlstand. Der Ort, an dem sich das Wissen dazu sammelt, fasziniert. Angefangen beim Eingang der Anmeldeunterlagen in der Dokumentenannahmestelle über die Prüfung bis hin zum Magazin mit Geistesschöpfungen der letzten Jahrhunderte. Und auch wegen einer Eigenschaft der Beamten, die unscheinbar wirkt, die manchmal angezweifelt wird, die aber vorhanden ist und einen besonderen Wert nicht nur für die Verwaltung hat.
Worum es sich dabei handelt? Nun, der ehemalige Präsident Carl Hauß erkannte diese besondere Eigenschaft anlässlich des Besuchs einer Abordnung eines ausländischen Amtes. Nach einer Führung durch das Haus bat der Delegationsführer den Präsident im Vertrauen um eine Erklärung. "Ihr Prüfungssystem", begann er, "ist doch nur durchzuführen, wenn Sie der Verschwiegenheit aller Beamten und ihrer Unzugänglichkeit gegenüber äußeren Beeinflussungsversuchen absolut sicher sind. Wodurch schaffen Sie diese Gewähr?" Präsident Hauß schmunzelte und antwortete: Der Treue der Beamten sei er sich absolut sicher, so dass in dieser Richtung nichts geschehen könne. Sichtlich erstaunt verabschiedete sich der Besucher mit der Erkenntnis: "Ihr System ist bei uns nicht durchzuführen".
Bilder: DPMA (soweit nicht anders angegeben)
Stand: 18.06.2024
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