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Konrad Zuse
Technikgeschichte aus dem Wohnzimmer
Mitten im Zweiten Weltkrieg präsentierte Konrad Zuse in seiner Berliner Wohnung einen Apparat, der heute als Meilenstein der Technikgeschichte gilt. Was eine kleine Gruppe von Fachleuten am 12. Mai 1941 in der Methfesselstrasse 7 zu sehen bekam, war der erste funktionsfähige, frei programmierbare, auf dem binären Zahlensystem und der binären Schaltungstechnik basierende Computer der Welt. Leider kam der Rechner kriegsbedingt nie wirklich zum Einsatz und wurde 1944 bei einem Bombenabgriff zerstört. Daher war es später ein kompliziertes Unterfangen, den technikgeschichtlichen Rang der Maschine zu belegen.
Konrad Zuse, am 22. Juni 1910 in Berlin geboren, bastelte schon als Kind an einem „automatisierten Fotolabor“ und an einem „Geld wechselnden Warenautomaten“. 1928 machte er sein Abitur in Hoyerswerda und begann zunächst ein Maschinenbaustudium an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Er wechselte aber schnell zur Architektur und schließlich zum Bauingenieurwesen.
Nach dem Studium begann er als Statiker bei den Henschel Flugzeug-Werken in Schönefeld. Nebenher baute er eine Erfinderwerkstatt im Wohnzimmer seiner Eltern auf. Um Werkzeuge und Bauteile bezahlen zu können, pumpte er Freunde und Familie an. Im Juni 1937 schrieb er in sein Tagebuch: „Seit etwa einem Jahr beschäftige ich mich mit dem Gedanken des mechanischen Gehirns.“ Zuse hatte sein Lebensthema gefunden. Mit unglaublicher Energie entwickelte er das damals völlig neue Konzept einer programmgesteuerten Rechenmaschine - zu einer Zeit, als weder der Transistor noch der Chip erfunden waren.
Mit 1 und 0 alles lösen
Zuse sah für seinen neuen Typ von Rechenmaschine unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten: Sie ließ sich, so erkannte er, auf alle Probleme anwenden, die durch "Ja"- oder "Nein"-Fragen gelöst werden könnten, also alles, was mit „Null“ und „Eins“ verarbeitet werden kann. Basierend auf diesem Binärsystem baute Zuse 1938 seinen ersten Rechner, den „Z1“: Ein vollmechanischer, programmierbarer Ziffernrechner, der seine Befehle von Lochstreifen erhielt.
Dieser Apparat enthielt bereits alle wesentlichen Komponenten moderner Computer wie Programmsteuerung, Speicher, Gleitkommaarithmetik und Mikrosequenzen. Diese einzelnen Komponenten wurden mit Hilfe von Zuses „mechanischen Schaltgliedern“ realisiert, die er bereits 1936 zum Patent anmeldete ( DE907948). In Verbindung damit meldete er 1937 ein „Aus mechanischen Schaltgliedern aufgebautes Speicherwerk“ für ein Patent an, das er schließlich 1955 erhielt ( DE924107).
Rechner aus Resten
Die buchstäblich aus Resten und Altteilen gebaute Z1 funktionierte aufgrund von mechanischen Problemen nie zuverlässig, zeigte Zuse aber, dass er auf dem richtigen Weg war. Für den Nachfolgeapparat Z2 von 1940 nutzte er zuverlässigere Telefonrelais für die Zentraleinheit. Im selben Jahr gründete er sein eigenes Unternehmen, die "Zuse-Apparatebau", zur Herstellung programmierbarer Computer.
In einer kleinen Wohnung in der Methfesselstraße in Berlin-Kreuzberg arbeitete Zuse weiter an einer epochalen Maschine mit 2000 Relais. Am 12. Mai 1941 präsentierte er seinen Z3 einer kleinen Gruppe von Fachleuten. Dieser gilt als der erste funktionsfähige, frei programmierbare, auf dem binären Zahlensystem und der binären Schaltungstechnik basierende Computer der Welt.
Im gleichen Jahr wurden in den USA der „Atanasoff-Berry-Computer“ und in Großbritannien „Colossus“ fertiggestellt. Beide waren aber nicht „turingmächtig“ (bzw. „Turing-vollständig“, also universell programmierbar), der Z3 hingegen im Prinzip durchaus, wie aber erst 1998 nachgewiesen wurde. Alan Turing, der geniale Mathematiker und „Enigma“-Knacker, hatte 1936 seine „Turingmaschine“ skizziert, das theoretische Modell eines programmgesteuerten Rechners.
Kampf um ein Patent
Von der Z3 überlebte nur eine Zeichnung den Zweiten Weltkrieg, da sie bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Das erschwerte es Zuse später zeitlebens, seinen herausragenden Rang in der Technikgeschichte zu beweisen. Als „Rechenvorrichtung“ meldete er das Prinzip des Z3 am 16. Juni 1941 beim Reichspatentamt an (altes Aktenzeichen: Z 26 476 IXb/42m). Wahrscheinlich kriegsbedingt wurde die Anmeldung nicht mehr abschließend bearbeitet.
1950 stellte Zuse beim wiedergegründeten (West-)Patentamt einen Antrag auf Weiterbehandlung seiner „Alt-Patentanmeldung“ (neues Aktenzeichen Z 391 IXb/42m, DE0Z000391MAZ (5,17 MB)). Sie wurde im Dezember 1952 veröffentlicht, aber ein Patent wurde letztlich nicht erteilt. Denn nun erhoben andere Herstellern (u.a. IBM) Einsprüche. Das Verfahren endete erst 1967 mit der Ablehnung aller Ansprüche Zuses durch das Bundespatentgericht. Das von ihm möglicherweise angestrebte umfassende „Computer-Patent“ blieb Zuse verwehrt.
Väter und Vorläufer
Zuse hatte das Pech, seine wichtigste Erfindung in Zeiten des Krieges gemacht zu haben. Sonst wäre der praktisch veranlagte, unternehmerisch interessierte Zuse heute vielleicht nicht nur als Technikpionier, sondern auch als Begründer eines Technologie-Weltkonzerns vom Range eines Bill Gates bekannt.
Trotz Zuses herausragender Rolle muss aber festgehalten werden, dass die heutigen Computer mehrere Väter haben. Ihre Entwicklung war ein komplexer historischer Prozess; mitunter wird auch im amerikanischen ENIAC von 1944 der erste echte Computer gesehen (obwohl dieser nicht binär arbeitete). Vorläufer gab es jedenfalls bereits in der Antike, etwa mit dem Mechanismus von Antikythera. Zuse selbst erfuhr erst später von den Pionierleistungen von Charles Babbage und Ada Lovelace im 19. Jahrhundert und würdigte Babbage, den Konstrukteur des „Analytical Engine“, als „eigentlichen Vater des Computers“.
Rechner in der Scheune
Neben der Arbeit an seinen Rechenmaschinen entwickelte Zuse während des Krieges für die Henschel Flugzeug-Werke fest programmierte Rechner zur Vermessung der Flugbahn der funkgesteuerten Gleitbombe „Hs 293“. Das Ablesen der Messuhren mechanisierte er - und schuf so wie nebenbei die ersten Analog-Digital-Wandler (erst 1960 sollte Zuse einen „Analog-Digitalwandler mit einer die Winkelstellung einer Achse od. dgl. angebenden, codierte Skalenwerte tragenden Skaleneinrichtung“ zum Patent anmelden; DE1221672).
Die Rechenanlage Z4, eine Weiterentwicklung des Z3, wurde 1942 begonnen, war aber bei Kriegsende noch nicht ganz vollendet. Als einzige Maschine Zuses konnte sie vor der Zerstörung durch Bombenangriffe gerettet werden - rechtzeitig von seinen Mitarbeitern zerlegt, verpackt und in einem Dorf im Allgäu in Sicherheit gebracht.
Als sich nach Kriegsende Schweizer Mathematiker für den in einer Scheune untergebrachten Großrechner interessierten, stellte Zuse den Z4 fertig und "vermietete" ihn 1950 an die ETH Zürich (als Erster verdiente Zuse Geld mit einem Computer; eine weitere Pionierleistung!).
Neustart
1949 gründete Konrad Zuse in Neukirchen bei Hünfeld (Hessen) die Zuse KG und begründete die Computerindustrie in Deutschland. Er war auch davor nicht untätig geblieben und hatte die erste höhere Programmiersprache der Welt entwickelt, das „Plankalkül“. Aber seine Veröffentlichung von 1948 blieb weitgehend unbeachtet – ein typisches Schicksal von Erfindungen, die ihrer Zeit zu weit voraus sind und für die noch kein Markt vorhanden ist.
1950 meldete Zuse eine „Kombinierte numerische und nichtnumerische Rechenmaschine“ ( DE926449) zum Patent an, die in der Lage war, „Rechenoperationen sowohl mit numerischen Werten als auch mit aussagenlogischen Ausdrücke durchzuführen. … Eine solche Rechenvorrichtung kann neben der Durchführung numerischer Rechnungen alle Aufgaben der theoretischen Logik mit All- und Existenzoperatoren (...) lösen, statistische Aufgaben beliebiger Art erledigen, die formale Richtigkeit komplizierter Rechenanweisungen prüfen u.a.m.“.
Das Patent dafür wurde 1955 erteilt. Die Programmbeispiele in der Patentschrift sind in der von Zuse entwickelten Programmiersprache "Plankalkül" angegeben. Die Patentanmeldung zeigt das Zusammenspiel aus Computer-Hardware und Programmiersprache bzw. Software. Somit war Zuse nicht nur ein Pionier der Computertechnik, sondern auch der Programmiersprachen.
Zuse als KI-Pionier
In Zuses Patentanmeldung finden sich auch Überlegungen zu künstlicher Intelligenz – Jahre bevor dieser Begriff überhaupt geprägt wurde. Zuse war also auch ein KI-Pionier. Und er schrieb das erste Schachprogramm!
1955 kam Zuses erste Serienfertigung auf den Markt, der Z11. Der Rechner wurde vor allem an die optische Industrie und Universitäten verkauft. 1957 präsentierte Zuse mit dem Z22 den ersten Rechner mit einem magnetischen Speicher. Bis 1967 baute die Firma insgesamt 251 Computer.
Immer seiner Zeit voraus
Zuse blieb zeitlebens erfinderisch tätig und war auch in anderen Technikfeldern seiner Zeit voraus. Seine „Fotoelektrisch durch Gegenlicht steuerbare Beleuchtungseinrichtung für Kraftfahrzeuge“ ( DE1204158) beschrieb 1962 das Prinzip der Fernlichtassistenten, die heute in immer mehr Autos zum Einsatz kommen. Im hohen Alter entwickelte er noch eine „Windkraftanlage“ ( DE4119428C1).
1964 schied Konrad Zuse aus seiner Firma aus, die zunächst von BBC in Mannheim und dann 1967 von Siemens übernommen wurde. Nach seiner Pensionierung widmete er sich seiner zweiten großen Leidenschaft, der Malerei. Allmählich wurde seine Pionierleistungen international anerkannt. Konrad Zuse erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden. Eine seiner letzten Patentschriften benennt „Zuse, Konrad, Prof. Dr.-lng. e.h. Dr.mult.rer.nat.h.c. Dr.techn.h.c.“ als Erfinder. Er starb am 18. Dezember 1995 in Hünfeld.
Ein Nachbau des Z3, des ersten frei programmierbaren Computers der Welt, befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft des DPMA im Deutschen Museum. Dort steht auch der originale Z4. Konrad Zuse ist selbstverständlich auch in der Erfindergalerie des DPMA vertreten.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: Claudia Summerer / DPMA, DEPATISnet, Wolfgang Hunscher, Dortmund CC by SA 3.0 via Wikimedia Commons
Stand: 09.04.2024
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