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100. Geburtstag des Lucky Luke-Erfinders
Die heimlichen Helden des Comics: die Gebrüder Dalton (Unions-Marke 002903847)
Morris und der Mann, der schneller zieht als sein Schatten
Einer der erfolgreichsten europäischen Comic-Schöpfer hätte jetzt seinen 100. Geburtstag gefeiert: Maurice De Bevere, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Morris“. Er ist der Schöpfer von Lucky Luke, der neben Asterix und Tim & Struppi wohl berühmtesten europäischen Comicfigur. Alleine in Deutschland sollen mehr als 30 Millionen Hefte mit den Geschichten des einsamen Cowboys verkauft worden sein.
Morris, geboren am 1. Dezember 1923 in Kortrijk (Courtrai) in Belgien, zeichnete schon als Kind viel und gerne, besonders Karikaturen seiner Lehrer. Erste berufliche Erfolge erzielte er bei der Familienzeitschrift „Le Moustique“, für die er ab 1944 Titelbilder gestaltete. Bald wechselte er zum Verlag Dupuis. Hier zeichnete er zum ersten Mal eine Bildergeschichte mit einem Cowboy namens Lucky Luke, der ihn später weltberühmt machen sollte. Sie erschien 1946 im „Almanach Spirou“.
In Deutschland erschien der Cowboy erstmals 1958. Seither wurden rund 90 Comic-Alben, diverse Kinofilme (sowohl Trick- als auch Real-Filme), Zeichentrick-Serien und zahlreiche Merchandise-Artikel rund um Lucky Luke veröffentlicht. Den Markenschutz scheinen Autor und Verlag lange etwas vernachlässigt zu haben; erst nach Morris´ Tod sicherte sich der Verlag (Dargaud) etwa Lukes Profil als Wort-Bild-Marke (002826212, 002730620) und als Wortmarke (002730596, 002779874; alle 2002 eingetragen).
Gemopste „film stills“ als Inspiration
Maurice De Bevere alias Morris, 1971
Der junge Morris begeisterte sich für die Pionierzeit der USA, las Karl May, sah begeistert Western. Aber es war nicht leicht, Material zu bekommen: „Zu Beginn meiner Karriere war es außergewöhnlich schwierig, sich fundierte Dokumentationen über den Wilden Westen zu beschaffen“, erinnerte er sich später. „Heute ist das ja ein Kinderspiel, aber damals… Ich musste auf alle möglichen Tricks zurückgreifen. Mein beliebtestes Material waren Filmfotos. Und die musste ich meistens aus den Schaukästen vor den Kinos stehlen, denn ich konnte sie nicht auf normalem Wege erwerben. Einer stand dann immer Schmiere – meistens Franquin – und ich habe mir Fotos gemopst, die ich unbedingt brauchte.“
Mit Andre Franquin, der bald ebenfalls einer der wichtigsten europäischen Comiczeichner werden sollte (u.a. Gaston, Marsupilami), und dem auch sehr erfolgreichen Kollegen Joseph Gillain alias Jijé ging Morris für fünf Jahre in die USA. Dort studierte er die amerikanische Comic-Kultur, sammelte eifrig Material für seine Western-Geschichten und lernte die Redaktion des stilprägenden „MAD“-Magazins kennen.
Folgenreiche Begegnung in New York
In New York kam es zu einer schicksalhaften Begegnung mit dem in Paris geborenen, in Argentinien aufgewachsenen Sprößling einer polnisch-jüdischen Emigrantenfamilie, der heute als wohl größter aller Comic-Szenaristen gilt: René Goscinny.
1955, als alle wieder in Europa lebten, wurde Goscinny der Texter für „Lucky Luke“. „Ich habe das große Privileg, dass ich der Erste war, für den Goscinny Szenarios machte“, so Morris. Bis dahin hatte er seine Geschichten selbst geschrieben, seit 1949 mit „La Mine d’or de Dick Digger“ das erste Album erschienen war.
Goscinny war seit 1963 Chefredakteur des Magazins „Pilote“, das die französisch-belgische Comic-Kultur prägte. Darin gab auch ein kleiner unbeugsamer Gallier sein Debüt, den er zusammen mit dem Zeichner Albert Uderzo erdacht hatte.
Mit der Zusammenarbeit zwischen Goscinny und Morris begann die glorreiche „klassische“ Lucky-Luke-Periode. Sie umfasst 37 Alben, die zu den besten und populärsten Comics weltweit gehören (auch wenn sie ironischerweise in den USA kaum bekannt sind).
Gangster und Gäste
In dieser Phase entstanden die populärsten Figuren der Geschichten, allen voran die Daltons (002903813). Die dummdreisten Orgelpfeifen-Brüder (Morris´ Lieblingsfiguren) sind an historische Persönlichkeiten aus der Pionierzeit des Westens angelehnt, ebenso wie die gleichfalls auftretenden Billy the Kid, Jesse James, Calamity Jane oder diverse US-Präsidenten. Manche andere Figur dagegen lieh sich ihr Konterfei bei einer prominenten Persönlichkeit aus der Gegenwart. So hatten etwa die Schauspieler Jean Gabin, David Niven oder Louis de Funès „Gastauftritte“ in den Comics – ein Gag, den Goscinny auch in den „Asterix“-Geschichten gerne brachte.
Die goldenen Jahre endeten abrupt 1977 mit dem viel zu frühen Tod Goscinnys. Ähnlich wie Uderzo entschied Morris sich, alleine bzw. mit anderen Textern weiter zu machen. Beide konnten aber das Niveau ihrer Reihen nicht halten. Im Gegensatz zu Uderzo verloren bei Morris jedoch auch die Zeichnungen mit zunehmendem Alter deutlich an Qualität.
Cowboy ohne Kippe
Modernes "spin-off" der Reihe (014707442)
In seinen reiferen Jahren verlor der ohnehin allzu brave Lucky Luke dann sein einziges Laster, das Rauchen. Statt der unvermeidlichen Selbstgedrehten steckt dem Cowboy seit den 1980er Jahren nur noch ein Strohhalm im Mundwinkel. Morris erhielt eine Auszeichnung von der Weltgesundheitsorganisation, weil er Luke das Rauchen abgewöhnt hatte.
Anders als sein Kollege Hergé, der die Fortführung von Tintin testamentarisch untersagte, ermutigte Morris gezielt die Fortsetzung von „Lucky Luke“ nach seinem Tod. Nachdem Morris am 16. Juli 2001 in Brüssel gestorben war, übernahm der Zeichner Achdé (Hervé Darmenton) die Reihe und setzt sie bis heute sehr erfolgreich fort.
Und so reitet der Held weiterhin nach jedem Abenteuer auf seinem treuen Pferd Jolly Jumper, begleitet vom dusseligen Hund Rantanplan, singend in den Sonnenuntergang: „I am a poor lonesome cowboy and a long way from home“.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: DPMAregister, Peters Hans / ANEFO Nationaal Archief, CCO, via Wikimedia Commons
Stand: 09.04.2024
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