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150. Todestag von Justus von Liebig

DE-Marke 476580, Porträt von Justus von Liebig von Franz Hanfstaengl

DE-Marke 476580, Porträt von Justus von Liebig von Franz Hanfstaengl

Ein Chemiker ernährt die Welt

Er war einer der bekanntesten und einflussreichsten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts: Justus Liebig. Sein Name ist bis heute weit über Fachkreise hinaus bekannt, denn sein Fleischextrakt machte ihn weltberühmt. Ungleich bedeutsamer ist aber, dass er praktisch im Alleingang die Agrochemie erfand, genauer: die Mineraldüngung, die die Erträge der Landwirtschaft vervielfachte und die Ernährung der Welt vereinfachte.

Liebig, der am 12. Mai 1803 in Darmstadt geboren wurde, ist noch für eine Fülle weiterer bahnbrechender Leistungen bekannt. Dabei war sein Weg in die Wissenschaft durchaus holprig: Das Gymnasium brach er früh ab. Ein Lehrer soll ihn beschimpft haben: „Du bist ein Schafskopf! Bei dir reicht es nicht mal zum Apothekenlehrling!“ Weil Liebig aber schon als Kind gerne im Labor seines Vaters, der Drogist und Farbenhändler war, experimentierte, nahm er dem Pädagogen zum Trotz doch eine Lehre als Apotheker auf. Aber auch diese fand nach wenigen Monaten ein vorzeitiges Ende – angeblich, weil Liebig bei Experimenten mit Knallgas den Dachstuhl in Brand gesetzt hatte.

Liebig ließ es knallen

Liebigs Labor in Gießen um 1840

Liebigs Labor in Gießen um 1840

Irgendwie schaffte Liebig es aber dennoch, 1820 zum Studium der Chemie an der Universität in Bonn zugelassen zu werden. 1821 folgte er seinem Professor an die Universität Erlangen, musste die Stadt jedoch im Februar 1822 fluchtartig verlassen, weil er bei studentischen Unruhen mitgemischt hatte. Er ging nach Paris an die Sorbonne, damals das Zentrum für Chemie schlechthin. Hier wurde der große Weltreisende und Forscher Alexander von Humboldt auf ihn aufmerksam. Er empfahl Liebig (21 Jahre jung) für eine Professur in Gießen, die dieser 1824 antrat. Zuvor hatte Liebig noch seine Doktorarbeit u.a. zum Thema Knallsäure verfasst – das brennende Dach hatte sich also gelohnt…

In Gießen wurde Liebig in den folgenden drei Jahrzehnten zu einem der berühmtesten Wissenschaftler seiner Zeit. Er revolutionierte das Studium der Chemie, indem er die Einheit von Forschung und Lehre durchsetzte. Liebig legte einen systematischen Studienplan fest und ergänzte die theoretischen Vorlesungen durch praktische Übungen. Sein beliebter Unterricht lockte immer mehr Studierende selbst aus dem Ausland an und wurde zum Vorbild für die universitäre Ausbildung von Naturwissenschaftlern weltweit.

Dünger für die Welt

"Liebig-Bildchen"

"Liebig-Bildchen"

In seinem Gießener Labor wurde empirische Forschung in großem Stil betrieben. Ein wichtiges Forschungsfeld bildete die organische Chemie. Liebig gelang eine entscheidende Verbesserung der Elementaranalyse, durch die sich die Zusammensetzung organischer Stoffe erheblich leichter entschlüsseln ließ. Dabei half ihm sein selbstentwickelter sogenannter Fünf-Kugel- oder Kali-Apparat. Mit seiner Hilfe entdeckte er auch 1831 eine Flüssigkeit, die später als Chloroform bekannt wurde.

Liebig fand auch heraus, dass Pflanzen anorganische Nährstoffe, also Salze, benötigen. 1840 erschien sein Buch "Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie", das den Beginn der modernen Mineraldüngung und der Agrochemie bedeutete. Langfristig veränderte es die Ernährung der ganzen Welt.

Nach München gelockt

EM 001519677, Marke eines belgischen Lebensmittelkonzerns

EM 001519677, Marke eines belgischen Lebensmittelkonzerns

Seine wissenschaftlichen Leistungen, aber auch seine vielen Publikationen machten ihn international berühmt. Sein Landesherr erhob in 1845 in den Freiherrnstand des Großherzogtums Hessen. Rufe von berühmten Universitäten aus dem In- und Ausland lehnte er stets ab, bis es 1852 dem bayerischen König gelang, ihn nach München zu locken. Maximilian II., der viele wissenschaftliche Kapazitäten, die sogenannten „Nordlichter“, südwärts in die bayerische Landeshauptstadt holte, köderte Liebig mit einem eigens für ihn errichteten, maßgeschneiderten Institut und Labor.

Unsterblich dank Fleischextrakt

In München stieg sein Ruhm noch weiter an; zahlreiche Ehrungen wurden dem nimmermüden Chemiker zuteil. Aber dass sein Name auch heute noch außerhalb von Fachkreisen bekannt ist, verdankt er ausgerechnet einem kranken Kind. Für die Tochter eines Freundes, die wegen der Cholera keine feste Nahrung zu sich nehmen konnte, entwickelte er ein "kräftigendes Nahrungsmittel": Durch einen langwierigen Prozess des Wässerns und Reduzierens von Rindfleisch entstand ein dickflüssiger "Fleischextrakt".

Liebig um 1866

Liebig um 1866

Ausgerechnet diese eher nebensächliche Erfindung machte seinen Namen unsterblich. Das "Extractum Carnis" kam als Stärkungsmittel für Kranke zunächst ab 1864 in Apotheken auf den Markt. Später ging Liebig eine Kooperation mit einem findigen deutschen Unternehmer ein, der in Uruguay große Mengen des Fleischextraktes günstig herstellen konnte (für einen Liter Extrakt wurden 32 Kilo Rindfleisch benötigt!). So konnte das Produkt zu erschwinglichen Preisen in großem Stil weltweit auf dem Markt gebracht werden. Der Fleischextrakt war der Vorläufer jeglicher Brühwürfel und Fertigsuppen – und auch so ziemlich die einzige Erfindung, die Liebig tatsächlich Geld brachte. Zur Popularität des Extrakts trugen auch die „Liebig-Bildchen“ bei, die den Packungen beigelegt waren und begehrte Sammlerobjekte wurden.

Backpulver und Babynahrung

Liebig-Sammelbildchen

Noch ein historisches Liebig-Sammelbildchen

Bis heute verwenden internationale Lebensmittelkonzerne Liebigs Namen als Marke, etwa 001519677EM (angemeldet von GB Foods aus Belgien im Jahr 2000). Weitere Liebig-Marken waren etwa 23161DE (mittlerweile gelöschte Marke von 1896); 38467DE Marke von 1899 (gelöscht 2001) oder 476580DE Marke von 1934 (erloschen 2005).

Auf Liebig geht auch das Backpulver zurück, das aber erst Jahre später dank der marktgerechten Aufbereitung durch August Oetker ein großer kommerzieller Erfolg wurde. Außerdem ist Liebig praktisch der Erfinder der Babynahrung, da er eine „Suppe für Säuglinge“ entwickelte.

Justus von Liebig starb vor 150 Jahren, am 18. April 1873, als hochgeehrter und weltberühmter Mann in München - wenige Jahre vor der Gründung eines deutschen Patentamt, bei dem er sicher so manche seiner Erfindungen hatte schützen lassen.

Liebig als Gutachter: Flammentod in Darmstadt

Liebigs Namen ist auch mit einem Stück Kriminalgeschichte verbunden. In seiner Heimatstadt Darmstadt hatte ein junger Mann am 13. Juni 1847 im Nachbarhaus in der Neckarstraße Flammen beobachtet, die nach kurzer Zeit wieder erloschen. Wenig später fand man dort die Gräfin Emilie von Görlitz tot auf – verbrannt! Die Polizei konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen, was geschehen war. Man nahm an, dass es sich um einen Fall von spontaner „Selbstentzündung“ handeln musste, die damals noch in manchen medizinischen Lehrbüchern auftauchte (und bis heute durch die Medien geistert). Als dann doch noch der Diener der Gräfin unter Verdacht geriet, wurde Liebig in einem komplizierten Indizienprozess als Gutachter hinzugezogen. Er wies vor Gericht nach, dass eine spontane Selbstentzündung des menschlichen Körpers komplett unmöglich ist. Der Diener wurde als Raubmörder verurteilt. Später gestand er die Tat.

Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: DPMAregister, poblic domain via Wikimedia Commons, Wilhelm Trautschold public domain via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons, DPMAregister, public domain via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons

Stand: 09.04.2024