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Rosalind Franklin

Wissenschafts-Krimi um die Entdeckung der DNA-Struktur:
Um den Weltruhm betrogen?

Mittagszeit im Pub „The Eagle“ in Cambridge, 28. Februar 1953. An exzentrische Wissenschaftler von der nahen Universität ist man hier eigentlich gewöhnt. Aber dennoch staunen die Besucher des Pubs nicht schlecht, als mitten im Lunch plötzlich ein Gast vom Tisch aufspringt und lauthals verkündet: „Wir haben soeben das Geheimnis des Lebens entdeckt!“

Was Francis Crick damit meinte, ließ sich zwei Monate später in der Fachzeitschrift „Nature“ nachlesen. Crick und James Watson veröffentlichten darin den Artikel „Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid“. Der kurze Text veränderte die Welt, denn in ihm wurde erstmals der Bauplan des Lebens enthüllt – die Doppel-Helix-Struktur der Desoxyribonukleinsäure, der DNA. 1962 erhielten Crick und Watson dafür den Nobelpreis. Dass ihre bahnbrechende Erkenntnis wesentlich auf den Forschungen und Vorarbeiten von Rosalind Franklin beruhte, verschwiegen sie jahrelang.

Lange im Schatten

Rosalind Franklin

Rosalind Franklin in ihrer Pariser Zeit

Rosalind Elsie Franklin, geboren am 25. Juli 1920 in Notting Hill, London, gehört trotz – oder gerade wegen - dieser Unterschlagung zu den berühmtesten Wissenschaftlerinnen der Geschichte, als die „vergessene Heldin“ oder „Dark Lady of the DNA“. Schon als junges Mädchen hatte sie sich für die Naturwissenschaften begeistert und war gegen alle Widerstände ihren Weg gegangen. Nach dem Studium der Chemie, Physik und Mathematik in Cambridge forschte sie zunächst „kriegswichtig“ zur effizienteren Verwertung von Kohle, was sie als ihren Beitrag zum Kampf im Zweiten Weltkrieg sah.

Nach Kriegsende ging sie für einige Jahre nach Paris, wo sie sich auf die Strukturanalyse von Molekülen mit Hilfe von Röntgenstrahlen spezialisierte. Mit der Röntgenkristallographie kann durch Messungen der Winkel und Intensitäten gebeugter Röntgenstrahlen die Atom- und Molekülstruktur eines Kristalls bestimmt werden. Franklin wurde in Paris eine ausgesprochene Expertin für diese Kristallstrukturanalyse mittels Röntgendiffraktometrie. Sie entwickelte eine Technik, mit der sich Aufnahmen von einer bis dahin unerreichten Qualität erstellen ließen (diese Technologie wird übrigens bis heute weiter optimiert; siehe zuletzt u.a. pdf-Datei EP04109083A1 (3,14 MB))

In einer Männerwelt

EP04109083A1

Röntgendiffraktometrie heute: "Device and method for measuring short-wavelength characteristic X-ray diffraction based on array detection"

1950 kehrte sie nach England zurück und arbeitete am renommierten King’s College in London an der Röntgenstrukturanalyse von DNA-Fasern. Dort war auch Maurice Wilkins tätig, der später gemeinsam mit Crick und Watson den Nobelpreis für die Entschlüsselung der DNA erhielt. Wilkins, der mit der Röntgendiffraktometrie wenig vertraut war und eher mit Mikroskopen arbeitete (siehe dazu u.a. sein Patent pdf-Datei GB695352), soll damals zunächst angenommen haben, Franklin sei als seine Assistentin angestellt worden, nicht als gleichberechtigte Kollegin. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Zusammenarbeit der beiden, zumal auch ihre Temperamente sehr unterschiedlich gewesen sein sollen: er introvertiert, altbacken; sie diskussionsfreudig, forsch und zielstrebig, außerdem mehrsprachig, kunstsinnig und vielseitig interessiert.

Die sehr jungen Watson und Crick, beide in Cambridge bis dahin nicht als wissenschaftliche Überflieger aufgefallen, hatten sich 1952 in den Kopf gesetzt, Linus Pauling im Wettlauf um die Entschlüsselung der Struktur der DNA zu schlagen.

Pulsflattern dank „Foto 51“

"Foto 51" in "Nature" vom 25. April 1953

"Foto 51" in "Nature" vom 25. April 1953

Ihr Durchbruch gelang, als Watson am 30. Januar 1953 das „Foto 51“ sah. Dieses Bild war das bis dahin beste Röntgenbeugungsbild eines DNA-Kristalls. Aufgenommen hatte es Raymond Gosling, Doktorand von Rosalind Franklin, für sie mit der von ihr entwickelten Technik.
„In dem Augenblick, als ich das Bild sah, klappte mir der Unterkiefer herunter, und mein Puls flatterte“, erinnerte sich Watson später (‘my mouth fell open and my pulse began to race.’). Denn auf Bild Nummer 51 war deutlich zu erkennen, dass die DNA spiralförmig aufgebaut sein musste. Maurice Wilkins hatte Watson das Bildmaterial zur Verfügung gestellt – hinter dem Rücken Franklins, die davon nichts wusste.

Watson wusste nun, wie die DNA grob aussah. Aber das allein reichte noch nicht für eine Publikation und wissenschaftlichen Ruhm. Was Watson und Crick brauchten, war weit mehr als nur die Idee einer Helix - sie brauchten präzise Beobachtungen aus der Röntgenkristallographie. Diese Daten lieferte ihnen ebenfalls Franklin –wiederum ohne ihr Wissen. Sie stammten aus einem unveröffentlichten Forschungsbericht von Franklin an das Medical Research Council, den Cambridge-Mitarbeiter Max Perutz seinen beiden ehrgeizigen jungen Kollegen insgeheim übergab.

Die Doppelhelix und ihre Details

James Watson (links) und Francis Crick präsentieren ihr DNA-Modell

James Watson (links) und Francis Crick präsentieren ihr DNA-Modell

Anhand von Franklins „Foto 51“ und ihres Forschungsberichts entwickelten Crick und Watson am Cavendish-Laboratorium der Universität von Cambridge (und im „Eagle“-Pub) ihr ebenso elegantes wie profundes DNA-Modell: Zwei lange DNA-Stränge verlaufen in entgegengesetzter Richtung und winden sich in Form einer Doppelhelix spiralförmig umeinander. Vier organische Basen - Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin - sind zwischen den beiden Helices aufgespannt. Dieses Doppelhelix-Modell der DNA mit den Basenpaaren in der Mitte war eine der wichtigsten biologischen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts. Ohne Rosalind Franklin hätte es die Erkenntnis aber so nicht gegeben.

In ihrer denkwürdigen Veröffentlichung in „Nature“ vom 25. April 1953 schrieben Crick und Watson gegen Ende: „Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass die spezifische Paarung, die wir als gegeben voraussetzen, unmittelbar auf einen möglichen Vervielfältigungsmechanismus für das genetische Material schließen lässt“ – das Geheimnis des Lebens.

Immerhin erwähnten Crick und Watson in ihrem Artikel Franklin ganz am Rande: „We have also been stimulated by a knowledge of the general nature of the unpublished experimental results and ideas of Dr. M.H.F. Wilins, Dr. R.E. Franklin and their co-workers at King´s College, London“ (Kommentierte externer Link Online-Version des Artikels hier).

In der gleichen Ausgabe von „Nature“ waren neben diesem kurzen, rein theoretischen Artikel zwei weitere, faktenbezogene Texte zum Thema erschienen, die das neue DNA-Modell unterstützten: der eine von Wilkins und einem Kollegen, der andere von Franklin und Gosling.

Hintergrund war, dass Crick und Watson Wilkins und auch Franklin Mitte März 1953 nach Cambridge eingeladen hatten, um ihnen ihr neues DNA-Modell vorzustellen. Franklin war - dies belegten Jahre später ihre Labornotizen – nur wenige Tage zuvor nach langen Überlegungen in verschiedene Richtungen letztlich ebenfalls zu der Erkenntnis gelangt, dass die DNA in Form einer Doppelhelix aufgebaut sein musste. Daher unterstützte sie die Cambridger darin, mit ihrem Modell an die Öffentlichkeit zu gehen – ohne zu wissen, dass die wichtigsten Grundlagen für diese Erkenntnisse aus ihren eigenen Forschungen stammten.

Das Schweigen der Männer

Rosalind Franklin, 1955

Rosalind Franklin, 1955

Die bahnbrechende Publikation machte Crick und Watson weltberühmt. Wilkins sollte in den folgenden Jahren ihr DNA-Modell weiter überprüfen und teils ergänzen und korrigieren. Alle drei erhielten 1962 den Nobelpreis für Medizin "für ihre Entdeckungen über die molekulare Struktur von Nukleinsäuren und deren Bedeutung für die Informationsübertragung in lebendem Material".

Rosalind Franklin war da bereits tot. Schon im April 1953 hatte sie wegen der unerträglichen Arbeitsatmosphäre das King´s College verlassen und war an das Birkbeck College gewechselt. Sie ließ damit auch die DNA-Forschung weitgehend hinter sich und widmete sich vor allem dem Tabakmosaikvirus. Ihr wissenschaftliches Ansehen stieg, ohne jedoch auch nur annähernd an den Weltruhm heran zu reichen, den Crick und Watson (dank ihrer Vorarbeit) erlangten. Im Herbst 1956 wurde bei ihr Eierstockkrebs diagnostiziert – möglicherweise eine Folge ihrer intensiven Arbeit mit Röntgenstrahlen. Sie forschte bis zum Schluss intensiv weiter. Rosalind Franklin starb am 16. April 1958 in London.

Die Nobelpreise werden nicht posthum verliehen. Hätte Rosalind Franklin die Auszeichnung bekommen, wenn sie 1962 noch gelebt hätte? Weder Crick noch Watson erwähnten in ihren Dankesreden Rosalind Franklin auch nur mit einem Wort.

Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: iStock.com/blackjack3d, CSHL CC by SA 4.0 via Wikimedia Commons, "Nature", Barrington Brown / Science Photo Library / Rockefeller University, MRC Laboratory of Molecularbiology CC by SA 4.0 via Wikimedia Commons

Stand: 29.11.2024