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135 Jahre Klang-Konserve
DE45048
Emil Berliners Grammophon-Patent
Töne in Scheiben: Emil Berliner erhielt vor 135 Jahren ein Patent auf sein „Verfahren und Apparat für das Registriren und Wiederhervorbringen von Tönen“ (sic!), DE45048. Besser bekannt wurde die Erfindung unter dem Titel ihres amerikanischen Patents, das ebenfalls mit Wirkung für den 8. November 1887 erteilt wurde: „Gramophone“ ( US372786A).
Berliners Grammophon machte zusammen mit der im gleichen Patent beschriebenen Schallplatte das Musikerlebnis konservierbar, unabhängig vom Konzertsaal und vor allem massentauglich.
Den Vorläufern überlegen
Bereits zehn Jahre zuvor hatte Thomas Alva Edison seinen Phonographen vorgestellt und der staunenden Welt die erste Tonaufzeichnung präsentiert. Edison meldete den Phonographen auch in Deutschland zum Patent an ( DE49732). Charles Cros hatte schon vorher in Paris sein „Paléophon“ theoretisch skizziert, aber Edison kam ihm mit einem funktionierenden Gerät zuvor.
Noch früher, nämlich bereits 1860, hatte Édouard-Léon Scott de Martinville eine Maschine zur graphische Aufzeichnung von Schwingungen konstruiert, den Phonautographen. Dieses Gerät konnte Töne zwar festhalten, aber nicht wiedergeben.
Kurz vor Berliner hatte ein Team um den als „Vater des Telefons“ berühmt gewordenen Alexander Graham Bell und den Physiker Charles Sumner Tainter an der Verbesserung von Edisons Phonographen getüftelt und dabei untere anderem auch eine Tonspur spiralförmig in die Oberfläche einer runden Wachsscheibe eingraviert (heute zu sehen im Smithsonian Institute in Washington). Tainter und Team meldeten aber kein Patent an und verfolgten den Ansatz anscheinend wegen technischer Schwierigkeiten auch nicht weiter, so dass Berliner nichts davon wissen konnte (Tainter meldete 1887 dieses Aufnahmegerät zum Patent an: US375579A (1,47 MB)).
Seiten- statt Tiefenschrift
Edison und Croz nutzten beide eine Walze als Tonträger, die im Vergleich zu Berliners Scheibe eher unpraktisch und teuer in der Herstellung war. Daher setzte sich die platzsparende, leicht reproduzierbare und länger spielende Schallplatte nach der Jahrhundertwende endgültig auf dem Markt durch und wurde schließlich weltweit in gewaltigen Mengen produziert.
Emil Berliner wurde 1851 in Hannover geboren und wanderte 1870 in die USA aus. Seinen Vornamen änderte er in „Emile“, nachdem er 1881 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Seine Patente von 1887 wiesen als technische Weiterentwicklung unter anderem das Aufzeichnungsverfahren in einer schneckenförmigen Schallrille mit V-förmiger „Seitenschrift“ (statt Edisons „Tiefenschrift“) auf. Sie ermöglichte eine Verbesserung des Tons, die Erweiterung des Tonumfangs und ließ sich obendrein noch besser vervielfältigen. Diese „Berliner-Schrift“ wird bis heute für Schallplatten verwendet.
Später verbesserte er das Grammophon und besonders die Schallplatte immer weiter, indem er die zunächst verwendeten Glasscheiben erst durch Zink, dann Hartgummi und schließlich durch eine Mischung mit Schellack ersetzte, bis sie schließlich reif für den Massenmarkt waren (siehe zu Berliners Weiterentwicklungen u.a. US637196A, US692502A).
Die ersten Unterhaltungskonzerne entstehen
EM000162123
Seine Erfindungen vermarktete er mit Anlaufschwierigkeiten, aber unternehmerischem Geschick und gründete die ersten Plattenfirmen. Einige verschwanden bald wieder vom Markt, nicht aber die Deutsche Grammophon-Gesellschaft, die er gemeinsam mit seinem Bruder Joseph ins Leben rief und die bis heute als eigenständiges Label (EM000162123, unter dem Dach von Universal) existiert.
Berliners Schallplatte wurde schließlich ein gewaltiger Erfolg. Da seine Patentansprüche aber weder sehr ausführlich noch umfassend waren, konnte der Schutz von vielen Nachahmern relativ leicht umgangen werden. So entwickelten sich um 1900 zahlreiche Schallplattenhersteller, etwa die französische Pathé Records, die zum Weltmarktführer vor dem Ersten Weltkrieg aufstieg.
Standard für fast ein Jahrhundert
Die Schellack-Schallplatten wurden damals übrigens mit 78 Umdrehungen pro Minute abgespielt. Erst mit der Herstellung aus Vinyl seit den 1950er Jahren wurden die bis heute gebräuchlichen 33 („LP“) bzw. 45 („Single“) Umdrehungen pro Minute Standard für Schallplatten.
Für beinahe 100 Jahre blieb die Schallplatte die Standardtechnik der Klangwiedergabe für jedermann, ehe ab den 1980er Jahren digitale Formate den Musikmarkt eroberten. In den letzten Jahren erfreut sich das Vinyl im Schatten der Digitalisierung aber wieder steigender Beliebtheit bei audiophilen Freunden des analogen Musikerlebnisses.
Berliner bringt das Telefon nach Deutschland
Vor dem Grammophon hatte Berliner sich in der noch jungen Fernsprechtechnik erfolgreich als Erfinder versucht. 1877 entwickelte er ein Mikrophon für Fernsprecher, das er für eine stattliche Summe an die Bell Telephone Company verkaufte. Auch der Einsatz von Transformatoren und Induktionsspulen in Bells Telefonen soll auf Berliner zurückgehen. In seiner alten Heimat gründete er 1881 eine Fabrik für Telefone und Mikrofone, die „J. Berliner Telefonfabrik“, später „Telephon-Fabrik Actiengesellschaft“, unter der Leitung seines Bruders Joseph. Sie hatte wesentlichen Anteil an der Durchsetzung des Telefons in Deutschland. Joseph Berliners Tochter und Erbin Klara wurde 1943 als Jüdin im KZ Theresienstadt ermordet.
Vielseitiger Erfinder
Emil Berliner blieb bis an sein Lebensende ein sehr kreativer Erfinder. Besonders der Luftfahrt galt sein Interesse: Er meldete mehrere Patente für Hubschrauber oder Gyrocopter an (z.B. US1115162A, US1472148A). Sein Sohn Henry war ein Pionier des Hubschrauberflugs in den USA und gründete die „Berliner Aircraft Company“, die später von North American Aviation übernommen wurde (heute Boeing).
Auch den Tönen blieb Emil Berliner treu und konstruierte akustisch besonders geeignete Wände für Konzertsäle und Auditorien ( GB268317A). Besonders kurios ist aber sein Patent für eine Art Frühform der Kamikaze-Drohne, den „Flying torpedo“ ( US1228522A).
Emil Berliner starb 1929 in Washington.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: DEPATISnet, Moehlen und Knirim Hannover / Public domain via Wikimedia Commons, Library of Congress Reinhold Lessmann Public domain via Wikimedia Commons, DPMAregister, National Photo Company Collection Public domain via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons
Stand: 24.09.2024
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