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Erste U-Bahn der Welt
Illustration des Londoner U-Bahn-Baus aus "The Engineer", 26. Juli 1895
Die Röhre unter der Themse
1870 eröffnete in London der erste U-Bahn-Tunnel der Welt: der Tower Subway. Ein Schienenwagen pendelte unter dem Fluss zwischen den Ufern der Themse hin und her – damals eine viel bestaunte technische Innovation. Auch wenn die enge Eisenröhre nur wenige Monate befahren wurde, setzte sie einen Meilenstein der Verkehrsgeschichte.
Zwar hatte bereits sieben Jahre zuvor die Metropolitan Railway eröffnet, welche die Bahnhöfe Paddington und King's Cross mit der Londoner Innenstadt verband und dabei ein Stück durch einen gemauerten Tunnel führte. Aber erst die Tower Subway eröffnete das Zeitalter des Personentransports durch bergmännisch gebaute Tunnelröhren.
Die schmale Röhre der Tower Subway war jedoch nicht der erste Tunnel unter der Themse. Bereits 1825 hatte man mit den Bauarbeiten für den Thames Tunnel begonnen, der nach endlosen Schwierigkeiten schließlich 1843 eröffnete. Er verbindet die Stadtteile Rotherhithe und Wapping, ist etwa 10 Meter breit und 366 Meter lang. Diese weltweit erste Untertunnelung eines Flusses war eine Sensation und eine große Besucherattraktion.
Inspiriert vom Schiffsbohrwurm
Der Ingenieur Marc Isambard Brunel (1769–1849) hatte dafür gemeinsam mit Thomas Cochrane ein Tunnelvortriebsschild entwickelt. Cochrane, 10. Earl of Dundonald (1775-1860), war ein legendärer britischer Marineheld. Daher klingt die Anekdote durchaus plausibel, wonach sich der Seefahrer vom Schiffsbohrwurm inspiriert haben lassen soll. Diese Muschelart (Teredo navalis) bohrt sich mit ihren Schalen kopfüber ins Holz und hat so manches Schiff auf dem Gewissen. Brunel und Cochrane meldeten ihr Tunnelbohrschild 1818 zum Patent an (GB 4204/1818).
Dabei handelte es sich um eine Konstruktion aus Gusseisen, in der die Bergleute in getrennten Kammern an der Tunnelfront graben konnten. Von Zeit zu Zeit wurde der Schild von einem gewaltigen Mechanismus vorgetrieben und die dahinter liegende Tunneloberfläche mit Ziegelsteinen ausgekleidet. Das Grundkonzept des Schildvortriebs bestimmt bis heute den Tunnelbau.
Die Brunels: Pioniere des modernen Verkehrswesens
Marc Brunel ruinierte sich mit dem Thames Tunnel seine Gesundheit. Sein Sohn Isambard Kingdom (1806-1859) übernahm die Leitung des schwierigen Pionier-Projekts (und wurde als Eisenbahn- und Schiffskonstrukteur ein noch berühmterer Ingenieur als sein Vater). Ursprünglich für Pferdekutschen geplant, wurde der Thames Tunnel zunächst für Fußgänger geöffnet, später für die Züge des London Underground, der bis heute den historischen Tunnel nutzt.
Als die Tower Subway 1863 zum Bau ausgeschrieben wurde, griff der Ingenieur James Henry Greathead das Konzept des Tunnelvortriebsschildes auf und verbesserte es (GB 1738/1874). Damit konnte der zweite Themse-Tunnel erheblich schneller und günstiger fertiggestellt werden als der erste.
Pendelverkehr in klaustrophobischer Röhre
Am 2. August 1870 wurde die Tower Subway eröffnet. Die Röhre hat eine Länge von rund 400 und einen Durchmesser von etwa 2 Metern. Sie liegt sichere 6-7 Meter unter dem Flußbett, wodurch die Wassereinbrüche, die den ersten Tunnelbau so kompliziert gemacht hatten, vermieden wurden.
In der engen Metallröhre pendelte ein achträdriger Schienenwagen zwischen den beiden Endstationen hin und her. Er konnte zwölf Personen befördern und wurde (ähnlich wie bei einer Standseilbahn) an einem Stahlseil durch die Röhre gezogen, angetrieben von zwei Dampfmaschinen mit einer Leistung von 4 PS. Die Fahrt durch den Tunnel dauerte etwa 70 Sekunden.
Die Passage mit der ersten Untergrundbahn kostete damals einen Penny (zwei Pence für Fahrgäste der ersten Klasse, obwohl ja alle auf dem gleichen Karren saßen!). Aber damit kamen die Betreiber nie auf ihre Kosten. Nur wenige Monate nach der Eröffnung, am 7. Dezember 1870, wurde der Zugbetrieb eingestellt.
Brücke sticht Tunnel
Nun erhielt der Tunnel eine Beleuchtung und wurde an Heiligabend 1870 für den Fußgängerverkehr freigegeben. Der Zugang zum Tunnel erfolgte über eine Wendeltreppe auf beiden Ufern der Themse. Von da an nutzten durchschnittlich 20.000 Passanten pro Woche den Tunnel, die dafür je einem halben Penny zahlten.
Als im September 1894 die über dem Tunnel gebaute Tower Bridge eröffnet wurde, nutzte bald kaum noch jemand die finstere, enge Fußgänger-Röhre. 1898 wurde sie geschlossen, später verlegte man dort Wasserleitungen und Telekommunikationskabel.
Erfolg im Untergrund
Der eigentliche Siegeszug der Untergrundbahn begann erst mit der Entwicklung von elektrisch angetriebenen Zügen. Der wichtigste Pionier war Werner Siemens, der auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 eine elektrische Lokomotive präsentierte. 1881 eröffnete er in Berlin-Lichterfelde die erste elektrische Strassenbahn (1,78 MB) der Welt (siehe DPMA-Postergalerie "Meilensteine der Technikgeschichte"). Doch ein elektrisches Bahnnetz kam in Berlin jahrelang nicht zustande. Die Briten dagegen zögerten nicht: 1890 setzte man in London die erste U-Bahn mit Elektrolokomotiven von Firma Mather & Platt aus Manchester ein. Schnell wuchs in der britischen Hauptstadt das größte U-Bahn-Netz der Welt. Erst vor wenigen Jahren haben es die Netze von Shanghai und Peking in ihrer Ausdehnung überholt.
Selbstverständlich wird die Technik rund um Züge und Tunnel stets weiter vorangetrieben. Heute kommen neue Schwerpunkte dazu, an die 1870 noch niemand gedacht hätte, etwa „Vorrichtung zur Entkeimung der Luft in U-Bahn-Waggons“ ( EP 2 682 320 B1).
Die „Tube“ (Röhre), wie die Londoner ihre U-Bahn liebevoll nennen, ist bis heute auf 270 Bahnhöfe und 11 Linien angewachsen, die sich bis tief in die Vororte der britischen Hauptstadt erstrecken. Als älteste und lange Zeit größte Untergrundbahn der Welt erfreut sich die Londoner „Tube“ großer Popularität. Es überrascht daher nicht, dass sich die Londoner Transportbetriebe diverse Markenrechte rund um „London Underground“ gesichert haben, zum Beispiel EM014360986 oder EM011196532.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: James C. Cole/Public domain, via Wikipedia Commons, Public domain, via Wikimedia Commons, Illustrated London News, Public Domain, via Wikimedia Commons, DPMAregister
Stand: 24.09.2024
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