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Ein armer Student wird zum Wegbereiter des Fernsehens
Detail aus DE30105 und Porträt von Paul Nipkow (1935)
Vor 140 Jahren: Patent für die "Nipkow-Scheibe"
Mehr als ein halbes Jahrhundert war das Fernsehen das wichtigste Medium der Menschheit. Heute, wo seine Bedeutung angesichts der digitalen Revolution zurückgeht, lohnt ein Blick auf seine Wurzeln. Es begann mit der Idee eines einsamen Studenten.
Paul Nipkow, schon als Schüler dank seiner technischen Begabung auffällig, wurde am 22. August 1860 als Sohn eines Bäckermeisters in Lauenburg in Pommern (heute: Lębork, Polen) geboren. Ein einschneidendes Erlebnis war die Installation des ersten Telefons im Postamt in Neustadt (Westpreußen), wo Nipkow das Gymnasium besuchte. Bei einem befreundeten Lehrling des Postamts lieh er sich dieses Telefon zur Untersuchung aus. In nur einer einzigen Nacht soll er es geschafft haben, das Gerät so zu analysieren, dass er es nachbauen konnte. Das Postamt erhielt sein Telefon pünktlich am nächsten Morgen zurück.
Nach seinem Abitur zog Nipkow 1882 nach Berlin, wo er ein naturwissenschaftliches Studium an der Humboldt-(damals: Friedrich-Wilhelm-) Universität begann. Auch an der Technischen Hochschule in Charlottenburg hörte er Vorlesungen. Adolf Slaby und Hermann Helmholtz gehörten zu seinen Dozenten.
Weihnachtlicher Geistesblitz in der Studentenbude
Paul Nipkow als junger Student
Nipkow fristete sein Dasein als sehr armer Student und soll sich seinen Lebensunterhalt verdient haben, indem er abends in Gastwirtschaften Klavier spielte. Weihnachten 1883 hatte er jedenfalls nicht genug Geld, um nach Hause zu fahren und saß alleine in seinem Zimmerchen in der Philippstraße 13a, Hof links, 3. Stock. Vermutlich dachte er, wie schön es wäre, seine Familie wenigstens irgendwie sehen zu können, wenn er schon nicht bei ihr sein konnte. Und dann kam ihm der Geistesblitz, der seinen Namen unsterblich machen sollte.
Er entwarf in der Christnacht einen Apparat, der in der Lage war, ein Objekt an einem beliebigen anderen Ort sichtbar zu machen. Dazu skizzierte er eine Abtastscheibe mit spiralförmig angeordneten Löchern, die durch ein Uhrwerk schnell und gleichmäßig um ihre Achse gedreht wurde. Die Abtastscheibe rotierte über eine Bildfläche und tastete diese zeilenförmig ab. Die verschiedenen Helligkeitswerte der einzelnen Bildpunkte wurden in Verbindung mit einer lichtempfindlichen Selenzelle in elektrische Signale umgewandelt und so an eine Empfangsstation übertragen. In der Empfangsstation sorgte eine synchron zur Abtastscheibe laufende zweite Scheibe für den richtigen Wiederaufbau des Bildes. Das Grundprinzip des Fernsehens!
Seiner Zeit weit voraus
Das Geld für eine Patentanmeldung besaß Nipkow nicht. Aber seine Freundin Sophia Colonius sprang ein und bezahlte die Gebühr für ihn. Rückwirkend zum 6. Januar 1884 wurde Paul Nipkow unter der Bezeichnung „Elektrisches Teleskop“ am 15. Januar 1885 das Patent DE30105 erteilt.
Leider fehlte ihm das Geld, um seine Erfindung technisch und kaufmännisch weiter zu verfolgen oder auszuwerten. Außerdem war seine Idee dem damaligen Stand der Technik derart weit voraus, dass in den folgenden Jahrzehnten in diesem Bereich nicht viel geschah. Man geht davon aus, dass Nipkow niemals versuchte, sein „Elektrisches Teleskop“ praktisch auszuführen oder zu erproben. Nach Ansicht von Experten hätte es 1884 wohl auch gar nicht funktionieren können (u.a. Selenwiderstand zu träge, um Bildpunkthelligkeiten umzusetzen; Lichtrelais hätte mehr Strom benötigt als mit dem Selenwiderstand erzeugbar; Selbstinduktion der Spule hätte die erforderlichen schnellen Stromänderungen nicht zugelassen; Problem der Synchronisation der beiden Scheibenantriebe nicht gelöst).
Skurrile Entwürfe für Flugmaschinen
Von seinem Patent hatte Nipkow daher nicht viel, von der Geldgeberin umso mehr: Nipkow und Colonius heirateten 1885, kurz nachdem er – wiederum aus Kostengründen – sein Studium abgebrochen hatte. Das Paar bekam sechs Kinder. Nipkow fand Arbeit als Ingenieur für Eisenbahnsignalanlagen bei der Firma Zimmermann & Buchloh in Borsigwalde bei Berlin.
Nebenbei widmete er sich gelegentlich weiteren Erfindungen. Zum Beispiel entwarf er Flugmaschinen, wobei ihm der Insektenflug als Vorbild diente. 1897 erhielt er das Patent für ein „Rad mit beweglichen Schaufeln für Luft- und Wasserfahrzeuge“ ( DE 112506); ein Jahr später das Zusatzpatent für ein „Insektenflugzeug“, eine Art Hubschrauber mit zwei seitlichen Luftschrauben ( DE 116287). Beide Erfindungen ließen sich damals mangels eines Motors mit genügend kleinem Leistungsgewicht nicht verwirklichen.
Nach Jahrzehnten als Wegbereiter entdeckt
Es dauerte bis in die 1920er Jahre, ehe die elektronisch Bildübertragung entscheidend vorangebracht wurde. Dann kamen viele große Pioniere der Fernsehtechnik wie Max Dieckmann, John Logie Baird oder Kenjiro Takayanagi auf Nipkows Ideen zurück.
Die ersten Versuche zu Fernsehübertragungen arbeiteten alle mit einer optisch-mechanischen Bildabtastung, die meisten mit einer Nipkow-Scheibe. Das brachte auch den inzwischen ergrauten Erfinder dazu, sich wieder mit diesem Thema zu beschäftigen und einige weitere Patente anzumelden. So fand er u.a. Lösungen für die Synchronisierung der Bildübertragung ( DE498415A, DE577553) und eine neue „Rotierende Bildzerleger- bzw. Zusammensetzanordnung für Fernsehzwecke“ ( DE685917A).
Der ungarische Physiker Dénes von Mihály schaffte es, mit einer 2,5 km langen Leitung erstmals ein Bild nach dem Nipkow-Verfahren zu übertragen. 1928 präsentierte er der Öffentlichkeit auf der "5. Großen Deutschen Funkausstellung" in Berlin die ersten, circa 4 x 4 cm großen Fernsehbilder.
Der Durchbruch des Fernsehens
Weitere Verbesserungen der Bildqualität (und ab 1931 auch begleitende Tonaufnahmen) brachten die Entwicklung des Fernsehens weiter voran. Manfred von Ardenne zeigte 1931 die erste Versuchsanordnung zur Übertragung von bewegten Bildern mit elektronischer Bildabtastung. Er benutzte die von Ferdinand Braun entwickelte Kathodenstrahlröhre (Braunʼsche Röhre). Vollelektronisch erzielte er eine höhere Qualität als mit der elektronmechanischen Nipkow-Scheibe, die bald technisch überholt war.
Seinen Durchbruch erlebte das Fernsehen 1936 mit Direktübertragungen der Olympischen Spiele aus Berlin. Die Bildqualität war anfangs miserabel: Übertragen wurden 180 Zeilen pro Bild und 25 Bilder pro Sekunde, die stark flackerten und so kontrastarm waren, dass die Bilder laufend durch einen Rundfunksprecher erläutert werden mussten. Nipkow soll enttäuscht gewesen sein, als er erstmalig Fernsehbilder sah – das war (noch) nicht das, was ihm damals in der Christnacht 1883 vorgeschwebt war.
Späte Ehre für den Pionier
Aber mit den ersten Erfolgen des Fernsehens erinnerte man sich auch wieder an den Pionier Nipkow. Auf seine alten Tage wurde er eine gefeierte Persönlichkeit; der Studienabbrecher erhielt beispielsweise zum 75. Geburtstag die Ehrendoktorwürde der Universität Frankfurt. Die neuen nationalsozialistischen Machthaber stilisierten ihn nach 1933 aus propagandistischen Zwecken zum „Erfinder des Fernsehens“ und benannten den weltweit ersten regulären Fernsehsender nach ihm.
Von Berlin-Witzleben erreichte der Fernsehsender „Paul Nipkow“, der rund 70 Kilometer weit ausstrahlte, 1939 etwa 500 private Fernsehgeräte in Berlin; dazu kamen einige öffentliche „Fernsehstuben“. Die Heimempfänger kosteten damals zwischen 2500 und 3600 Reichsmark (zum Vergleich: der „KdF-Wagen“, Vorläufer des VW Käfer, wurde für 990 Mark verkauft).
Paul Nipkow erhielt in seinen letzten Jahren eine Ehrenrente und nach seinem Tod am 24. August 1940 ein Staatsbegräbnis (als erster Ingenieur!) - natürlich begleitet von Fernsehkameras.
- Siehe auch " Mechanisches Fernsehen" in der DPMA-Postergalerie
Text: Dr. Jan Björn Potthast, Bilder: DEPATISnet, Getty Images/ullstein bild, gemeinfrei via Wikimedia Commons, gemeinfrei via Wikimedia Commons, Foto von Holger.Ellgaard CC BY-SA 3.0 from Wikimedia Commons, Nachlass Nipkow CC by SA 4.0 Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Stand: 09.01.2025
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