Inhalt
Bernhard Drägers 155. Geburtstag

Die Neuerfindung des Atmens
Am 14. Juni 1870 wurde in Kirchwerder bei Hamburg Bernhard Dräger geboren, der ein wichtiges Stück deutscher Technik- und Unternehmensgeschichte schreiben sollte. Er entwickelte gemeinsam mit seinem Vater Heinrich Atemschutzgeräte für Bergbau und Feuerwehr, Wiederbelebungsgeräte, Narkose-Automaten und Tauchergeräte. Die kleine Firma seines Vaters stieg dank seiner Erfindungen zu einem weltweit erfolgreichen Unternehmen auf.
Johann Heinrich Dräger (1847-1917) hatte 1889 in Lübeck das Unternehmen „Dräger & Gerling“ mitgegründet, das unter anderem Bierzapfanlagen mit komprimiertem Kohlendioxid herstellte (siehe z.B. DE57301). Damals war der Fluss des Gases (und somit des Bieres) noch schwer zu kontrollieren. Heinrich Dräger und sein Sohn Bernhard, der gerade seine Lehre als Mechaniker abgeschlossen hatte, entwickelten deshalb das vergleichsweise leichte und präzise
DE52238, genannt „Lubeca“-Ventil, den ersten betriebssicheren Druckminderer: „Wird Bier abgezapft, so ergänzt das Ventil selbsttätig die verbrauchte Kohlensäuremenge“, beschrieb Bernhard die Entwicklung.
Im Jahr 1892 hatte die Fabrik bereits zehn Mitarbeiter. Seit 1895 hieß das Unternehmen von Vater und Sohn „Drägerwerk“. Weil Heinrich kaum betriebswirtschaftliche Kenntnisse hatte, ließ sich Bernhard abends von einem befreundeten Kaufmann in Buchführung unterweisen. Auch sein Fachwissen wollte der tüftelnde Sohn vertiefen und besuchte für zwei Gastsemester die Technische Hochschule in Berlin.
Der Sauerstoff und sein Potenzial
Bernhard wurde bald zum Top-Erfinder im Unternehmen und widmete sich vor allem dem Sauerstoff. Er erkannte das Potenzial, das in der Anwendung von komprimiertem Sauerstoff liegt - eine Basistechnologie, die für unterschiedlichste Produkte von der Löt- und Schweißtechnik bis hin zu Beatmungs- und Atemschutzgeräten verwendet werden kann.
Das kleine Unternehmen machte jetzt große Schritte in Forschung und Entwicklung. Ab 1899 kamen die Ergebnisse auf den Markt: der „Oxygen-Hydrogen-Automat“, ein Reduzierventil zur Dosierung von Sauerstoff und Wasserstoff, und das „Finimeter“, ein Hochdruckmanometer, mit dem sich erstmals der genaue Füllstand in Sauerstoffflaschen anzeigen lässt.
„Draegermen“
Bekannt wurde das Drägerwerk dann vor allem mit Atemschutzgeräten für den Bergbau. Ab 1901 konzentrierten sich Bernhard Drägers Entwicklungsarbeiten auf den Atemschutz. Mit dem erfolgreichen Rettungsapparat Modell 1904 gelang der eigentliche Durchbruch. Diese Geräte, die Bernhard ständig optimierte, kamen bald weltweit unter Tage zum Einsatz. 1907 expandierte die Lübecker Firma nach Übersee und gründete in den USA die Niederlassung „Draeger Oxygen Apparatus Co.“. Noch heute werden Mitarbeiter des Rettungswesens im Bergbau in den USA wegen ihrer Atemschutzgeräte „Draegermen“ genannt.
Der erste Narkose-Apparat
Gemeinsam mit dem Lübecker Chirurgen Professor Otto Roth entwickelten die Drägers den ersten Narkose-Apparat. Darin wurde Chloroform oder Äther im Sauerstoff-Druckstrom vernebelt und vom Patienten mit reinem Sauerstoff eingeatmet. Der „Roth-Dräger“-Mischnarkose-Apparat löste 1902 das damals große Problem der Dosierung: Mit ihm war es erstmals möglich, das Verhältnis von Sauerstoff und Narkosemittel zuverlässig zu regeln. Damit wurde die Narkose endlich beherrschbar.
Ein Problem bestand jedoch zunächst weiterhin: Der Patient atmete Teile der Narkosegase wieder aus, die dann das medizinische Personal bei der Operation benebeln konnten. Die Lösung brachte erst die Kreislauftechnik, die sich bereits in Bergbaugeräten von Dräger bewährt hatte: Die ausgeatmete Luft wurde zurück in das Gerät geleitet, wo eine Alkalipatrone das Kohlendioxid band. Die Ausatemluft wurde mit Narkosegas und Sauerstoff gemischt und vom Patienten wieder eingeatmet. In den nächsten Jahren optimierte Bernhard dieses rasch sehr weit verbreitete Gerät noch mit Vorrichtungen für Überdruckoperationen.
Künstliches Beatmen mit dem „Pulmotor“
Eine der wichtigsten Entwicklungen des Unternehmens machte aber vor allem Vater Heinrich. In London hatte er erlebt, wie ein junger Mann aus der Themse gerettet und mit manueller Beatmung wiederbelebt wurde. Heinrich hatte die Idee, Menschen noch an der Unfallstelle maschinell zu beatmen und entwickelte daraufhin das erste Beatmungsgerät der Welt: den „Pulmotor“.
Die Technik des „Pulmotors“ (siehe u.a. DE211138A,
DE384245A) war bestechend einfach und blieb über Jahrzehnte Grundlage der maschinellen Beatmung: Er wurde mit Druck-Sauerstoff betrieben und erzeugte abwechselnd einen positiven und negativen Atemwegsdruck. Das Gerät lieferte Atemgas, bis ein bestimmter Druck in der Lunge erreicht war. Dann schaltete es auf Ausatmung um. Erstmalig 1907 von der Berliner Feuerwehr eingesetzt, wurde es ein großer Erfolg und blieb jahrzehntelang im Wesentlichen unverändert im Dienst.
Tauchretter und Gasmasken
Bernhard entwickelte 1907 auch die so genannten Tauchretter für U-Boot-Besatzungen (siehe DE529399). Damit können die Besatzungsmitglieder im Notfall einzeln aus einem gesunkenen Boot auftauchen. Außerdem entwarf er Luftreinigungsanlagen und schlauchlose Sauerstoff-Tauchapparate für Tiefen bis zu 80 Metern (siehe u.a.
DE331363). Für die aufstrebende Ballon- und Flugzeugtechnik konstruierte Bernhard Höhenatemgeräte für sauerstoffarme Luftschichten. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde das Drägerwerk auf Kriegsproduktion umgestellt und lieferte mehrere Millionen Gasmasken aus (siehe z.B.
DE401706).
Erfinder bis zum letzten Atemzug
Bernhard Dräger war mit Leib und Seele Erfinder. Immer wieder verbesserte er seine Atmungsgeräte (siehe z.B. DE485133) und testete alle neuen Entwicklungen persönlich. Seine letzte Unterschrift für die Patentabteilung leistete er noch am Vortag seines Todes. Zwischen 1900 und seinem Todesjahr 1928 wurden laut Dräger ihm und seinem Vater 261 deutsche und 443 Auslandspatente sowie 912 Gebrauchsmuster erteilt.
Am 12. Januar 1928 starb Bernhard Dräger im Alter von nur 57 Jahren. Sein Sohn Heinrich übernahm die Leitung des Unternehmens – und behielt sie bis 1984, was in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ziemlich einmalig sein dürfte.
Pusten Sie mal!
Die Nachfrage nach den Beatmungs- und Atemschutzgeräten, die das Unternehmen weiterhin herstellt, stieg 2020 in Folge der COVID-19-Pandemie sprunghaft an. Dräger vergrößerte seine Produktionskapazität erheblich, auch weil die Bundesregierung im großen Stil bestellte.
Der Atem – Drägers Metier – kann verräterisch sein. Eine höchst sinnvolle, wenngleich teilweise nicht sehr populäre Erfindung geht auch auf das Konto des Unternehmens: Dräger entwickelte in den 1950er Jahren die ersten Alkohol-Kontrollgeräte, mit denen die Polizei bald so manchen angeheiterten Fahrer aus dem Verkehr ziehen sollte ( DE1052630A u.a.). Rund 30 Millionen dieser Prüfröhrchen sollen produziert worden sein, bis sie vor etwa mehr als einem Jahrzehnt endgültig durch elektronische Testgeräte abgelöst wurden. Später entwickelte Dräger auch eine Wegfahrsperre für Autos, die den Atemalkohol misst: erst pusten, dann fahren (oder eben nicht;
DE19742261C2).
Die Firma Dräger, jetzt geleitet von Bernhards Urenkel Stefan, gilt bis heute als einer der führenden Hersteller von Medizin- und Sicherheitstechnik. In der Medizintechnik ist besonders die Akutmedizin wichtig für das Unternehmen: Dräger baut u.a. Instrumente für Patientenmonitoring und Perinatalmedizin (etwa Beatmungsgeräte für Frühchen). In der Sicherheitstechnik setzt Dräger u.a. auf Schutzausrüstung, Messgeräte und Gefahrenmanagement. Das Unternehmen verfügt nach eigenen Angaben über 20 Entwicklungs- und Fertigungsstandorte und vertreibt seine Produkte in 190 Ländern.
Bis heute äußerst aktiv in Forschung und Entwicklung
Dräger investiert traditionell erheblich in Forschung und Entwicklung. Das wird nicht zuletzt anhand der äußerst zahlreichen Patentanmeldungen des Unternehmens deutlich, die es seit Jahrzehnten tätigt. Zur Veranschaulichung sei hier nur ein Blick auf einige der allerneuesten Anmeldungen geworfen:
Gase sind nach wie vor ein Hauptgeschäftsfeld von Dräger, wie zuletzt etwa „Gasmessvorrichtung und Gasmessverfahren für ein Zielgas mit verbesserter Kompensation einer Umgebungsbedingung“ ( DE102023132371A1 (2,3 MB)) illustriert. „Messsystem für ein Überwachungssystem“ (
DE102023126404A1 (1,08 MB)) trägt zur Verbesserung der Flugsicherheit bei, da es die Sauerstoffzufuhr des Piloten kontrolliert.
Die „klassischen“ Beatmungsgeräte verbessert Dräger stetig weiter – siehe etwa „First stage pressure reducer“ ( US020250162697A1). Auch im Bereich Cybersicherheit ist das Unternehmen aktiv, beispielsweise mit „Vorrichtung und Verfahren zur Ausführung von Cybersecurity-Funktionen und von Safety-Funktionen“ (
DE102023131634A1).
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: DEPATISnet, Dräger
Stand: 11.06.2025
Wir schützen nicht nur Innovationen.
Soziale Medien