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Pasteur, Jenner und die Erfindung des Impfens
Jenner, Pasteur und die Erfindung des Impfens
275. Geburtstag: Edward Jenner, der Erfinder des Impfens
Vor 275 Jahren, am 17. Mai 1749, wurde Edward Anthony Jenner in Berkeley (Gloucestershire, England) geboren. Früh verwaist, lernte er schon als 13jähriger sein Handwerk bei einem Wundarzt. Jenner wurde 1796 durch seine erfolgreichen Versuche zur Kuhpockenimpfung der Begründer der modernen Schutzimpfung. Auf eine Patentierung des Verfahrens verzichtete er aus Sorge, dass sich arme Leute die Impfung nicht leisten könnten.
Kaum ein Gesundheitsthema beschäftigte die Menschheit in den zurückliegenden Pandemie-Jahren so sehr wie das Impfen. Der Begründer des Impfens, Edward Jenner, wurde vor 275 Jahren geboren. Ein weiterer Vater der Schutzimpfung, Louis Pasteur, erblickte am 27. Dezember 1822 in Dole im französischen Jura das Licht der Welt.
Pasteur gelang einer der ersten spektakulären Impferfolge: Am 6. Juli 1885 begann Louis Pasteur in Paris mit der Immunisierung eines Tollwut-Infizierten. Joseph Meister, neunjähriger Bäckerssohn aus dem Dorf Meisengott (Maisonsgoutte) im Elsaß, war von einem tollwütigen Hund gebissen worden. Das war seinerzeit fast ein Todesurteil, denn wenn die Tollwut einmal ausgebrochen war, gab es kein Medikament, das helfen konnte (das ist noch bis heute so).
Der Dorfarzt erinnerte sich aber, von den erfolgreichen Experimenten eines Chemikers mit einer Tollwutimpfung bei Hunden gelesen zu haben. Sofort brach Meisters Mutter mit ihrem Sohn nach Paris auf, um diesen Mann zu suchen.
Gewagtes Experiment
Tatsächlich hatte der Chemiker Louis Pasteur bis dahin Hunde in Experimenten gegen Tollwut immunisiert, aber noch keine Menschen. Er hatte in etlichen Übertragungsversuchen an Kaninchen und Hunden nachgewiesen, dass der Erreger (der erst später als Virus identifiziert werden konnte) das Nervensystem befällt. Da die Inkubationszeit der Tollwut ein bis zwei Monate beträgt, kann auch nach der Infizierung ausreichend Zeit für eine Immunisierung bleiben, um den Ausbruch zu verhindern. Aus dem getrockneten Rückenmark eines infizierten Kaninchens gewann Pasteur eine abgeschwächt infektiöse Suspension, die er in systematischen Abständen und Dosierungen seinen Versuchstieren spritzte. Danach blieben die Hunde immun gegen die Krankheit.
Eine Postexpositionsprophylaxe hatte Pasteur allerdings bis dahin noch nicht erfolgreich getestet. Auch vor einem Einsatz beim Menschen hatte Pasteur, der kein Mediziner war, lange zurückgeschreckt. Als nun aber Meisters Mutter und der Junge zu ihm kamen, wagte er nach Absprache mit Ärzten das durchaus nicht unumstrittene Experiment.
Rettung aus Kaninchen-Knochenmark
Joseph Meister erhielt zunächst eine Spritze aus der 14 Tage lang getrockneten Rückenmarkssubstanz, am nächsten Tag eine 13 Tage lang getrocknete Dosis und schließlich über einen Zeitraum von zehn Tagen zwölf Injektionen mit immer höherer Virulenz. Die Tollwut brach bei ihm nicht aus, er überlebte und durfte am 25. August 1885 wieder nach Hause ins Elsaß fahren.
Zwei Monate später publizierte Pasteur die Heilung seines jungen Patienten und sorgte für eine Sensation. Bis heute gilt Meisters Behandlung als Meilenstein der Medizingeschichte. Aus der ganzen Welt strömten infizierte Menschen zu Pasteur, um sich behandeln zu lassen; Massen an Spendengeldern ermöglichten ihm die Gründung eines eigenen Instituts, das nach ihm benannt wurde und bis heute die führende biomedizinische Einrichtung Frankreichs ist.
Dabei war Meisters Heilung – so es denn eine war – eigentlich nicht sonderlich aussagekräftig. Pasteur selbst ging davon aus, dass nur 10 Prozent aller von tollwütigen Hunden gebissenen Menschen sich auch wirklich mit der Krankheit infizierten. Ein einzelner Fall kann überdies die Wirksamkeit einer Impfung nicht hinreichend belegen. Im Nachhinein wurde aber wissenschaftlich bewiesen, dass Pasteurs Impfung tatsächlich wirksam war. Von seinen zahlreichen bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistungen wurde diese später als eine der größten wahrgenommen; bis heute gilt Pasteur in Frankreich als Nationalheld.
Der Vater der Impfung: Edward Jenner
Die Idee, Menschen durch Impfung vor Krankheiten zu schützen, gab es lange vor Pasteur. Der erste und bis heute größte Erfolg gelang dem englischen Arzt Edward Jenner (1749–1823). Die Pocken (auch Blattern genannt) waren damals eine sehr weit verbreitete, gefährliche Infektionskrankheit und sollen eine Sterblichkeitsrate zwischen 20 und 40 Prozent gehabt haben. Wer überlebte, war oft durch die Narben entstellt. Lange war aber bekannt, dass niemand die Krankheit ein zweites Mal durchmachen musste. Daraus entstand der Gedanke, durch gezielte, aber abgeschwächte Infektion eine Immunisierung herbeizuführen. Zu Jenners Vordenkern gehörten unter anderem sein Kollege John Fewster (1738–1824) oder Wilhelm Bernhard Nebel in Heidelberg (1699-1748).
Die Kuhpocken waren eine für den Menschen harmlose Variante der Krankheit, die seinerzeit fast jeder durchmachen musste, der mit Kühen zu tun hatte. Jenner griff daher die Idee auf, einen Menschen mit Kuhpocken gegen Menschenpocken zu immunisieren. Am 14. Mai 1796 impfte er den achtjährigen James Phipps mit Serum aus einer Kuhpockenpustel an der Hand einer Milchmagd. Etwa sechs Wochen später infizierte Jenner den Jungen dann mit menschlichen Pocken, aber der erwies sich nun als immun.
Kinder als Versuchskaninchen
Jenner wollte einen Artikel dazu veröffentlichen, aber die Royal Society lehnte ab, da ihr eine einzelne Testperson nicht ausreichte. Also experimentierte Jenner munter weiter, meist an Kindern, auch an seinem eigenen Sohn. Ein solches Vorgehen könnten sich Impfstoffforscher heute zum Glück nicht mehr erlauben. Aber Jenners Erfolg gab ihm letztlich Recht.
Da er seinen Impfstoff Kühen (lateinisch „vacca“) verdankte, nannte Jenner ihn „Vaccine“ und die Impfung „Vaccination“. Er war sich sicher: „Mit meiner Methode rotten wir die Pocken aus.“ So kam es in der Tat, aber es sollte noch fast 200 Jahre dauern.
Jenner verzichte übrigens auf ein Patent für seine Methode, weil diese auch für die ärmere Bevölkerung erschwinglich bleiben sollte. Die wissenschaftlichen Hintergründe der Immunisierung wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts deutlich, als man entdeckte, dass „Bakterien“ genannte Kleinstlebewesen Infektionskrankheiten auslösen können. Pasteur formulierte 1864 seine „Keimtheorie“, Robert Koch entdeckte 1876 bzw. 1881 die Erreger-Bazillen von Milzbrand und Tuberkulose. Viren begann man erst im 20. Jahrhundert allmählich zu verstehen.
Bayern als Impf-Pionier
Die Vakzination verbreitete sich rasch. Nachdem einige Bundesstaaten der USA den Anfang gemacht hatten, führte das Königreich Bayern bereits 1807 eine Impfpflicht gegen Pocken ein; Russland folgte 1812. Im Deutschen Reich wurde die Pockenimpfung dagegen erst 1874 verpflichtend. Letztlich erklärte die WHO die Pocken 1979 für offiziell ausgerottet. Leider ist es nach wie vor die einzige Infektionskrankheit, die vollständig ausgeschaltet werden konnte. Andere Erreger sind trotz intensiver Impfbemühungen zumindest noch vereinzelt eine Bedrohung, etwa Polio.
Von Anfang an hatte die Praxis der Impfung auch entschlossene Gegner. Rationale Argumente spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle; Impfgegner waren (und sind bis heute) eher von weltanschaulichen Gründen getrieben. Schon das Reichsimpfgesetz von 1874 war heftig umstritten. Bis heute gibt es teils heftigen Widerstand gegen jegliche Impfverpflichtungen, wie sich zuletzt an der Kritik an der Masern-Impfpflicht für Kita-Kinder und an den Protesten gegen die Covid-Impfung zeigte.
Das Problem der wachsenden „Impfmüdigkeit“
Die „Impfmüden“ sind schon länger ein Problem: Da beispielsweise Kinderkrankheiten wie Windpocken und Röteln dank der Impfungen heute kaum mehr vorkommen, sinkt das Verständnis für die Notwendigkeit der Schutzimpfung. Impfungen sind von ihrem eigenen Erfolg bedroht: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – die Bedrohung durch traditionelle Kinderkrankheiten erscheint manchem abstrakt und klein. Das führt unter anderem dazu, dass die Masern noch immer - oder vielmehr: schon wieder - ein globales Problem sind ( laut WHO gab es 2021 rund 9 Millionen Fälle; weltweit starben etwa 128.000 Menschen daran).
Die durchgeimpfte DDR
Mit Impfungen wurde schon immer auch Politik gemacht: Napoleon ließ seinerzeit sofort seine Soldaten mit Jenners Impfung gegen Pocken schützen, obwohl er gegen England Krieg führte. Pasteur und seine französischen Kollegen lehnten vor dem Hintergrund der Feindschaft ihrer Länder die Forschungen der deutschen Wissenschaftler um Koch ab (und umgekehrt). Und während des „Kalten Krieges“ wetteiferten Ost und West um die bessere Impfstrategie. Vor allem die DDR wollte mit einer gründlich durchgeimpften und gesunden Bevölkerung die Überlegenheit des sozialistischen Systems demonstrieren. Der BRD, wo zeitweise nur die Pockenimpfung Pflicht war, hielt man genüsslich ihre Impflücken vor (insbesondere bei der Kinderlähmung) und bot gar „Impf-Entwicklungshilfe“ an.
Lukratives Geschäft
Die Welt hatte also schon vor Corona genügend Probleme mit aggressiven Viren, aber die Pandemie beflügelte die Forschung nach geeigneten Impfstoffen in bisher nie dagewesenem Ausmaß. Überall auf der Welt hofften die Menschen 2020 auf eine Impfung gegen SARS-CoV-2.
Die Entwicklung eines Impfstoffs dauert unter normalen Bedingungen Jahre, vielleicht Jahrzehnte – wenn man überhaupt Erfolg hat. Gegen HIV gibt es zum Beispiel auch nach Jahrzehnten immer noch keine geeignete Impfung auf dem Markt (siehe dazu aber u.a. EP3099322A1!).
Impfstoffe (auch für Tiere) können ein sehr lukrativer Markt für Pharmaunternehmen sein, daher schlagen sich in den Patentanmeldungen immer wieder interessante Ansätze für Immunisierungen nieder (siehe z.B. EP2680880B1 (1,09 MB) und WO2014127917A8 ).
Es gab berechtigte Hoffnung, dass die Erben Pasteurs und Jenners Erfolg haben würden. 2020 investierte die Politik weltweit enorme Summen in Unternehmen, die an Impfstoffen arbeiteten. Die Ergebnisse sind bekannt: Mehrere Impfstoffe kamen auf den Markt und halfen, die pandemische Situation zu entspannen – allerdings nicht ohne teils heftige Debatten um etwaige Impfzwänge oder den Patentschutz für Impfungen. Ende 2021 erhielt die Firma BioNTech für ihren Covid-Impfstoff den Deutschen Zukunftspreis. 2023 erhielten die "masterminds" hinter der mRNA-Impfung, Katalin Karikó und Drew Weissman, den Nobelpreis für Medizin ("for their discoveries concerning nucleoside base modifications that enabled the development of effective mRNA vaccines against COVID-19").
Gegen Corona-Viren sind weitere Impfstoffe entwickelt und zum Patent angemeldet worden, etwa EP3895729A1 (41,42 MB) (CPG-adjuvanted SARS-COV-2 virus vaccine), die transdermale Impfung EP4035673A1 (3,7 MB) oder die Kombinationstherapie EP4066824A1 (1,73 MB) („relates to the combination of an estrogen receptor agonist and/or vitamin D receptor agonist with COVID-19 vaccination“).
Zahlreiche weitere Impfungen werden derzeit weltweit erforscht oder erprobt. Der Traum Jenners und Pasteurs, die Menschheit durch Immunisierung vor schweren Krankheiten zu schützen, lebt weiter.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: iStock.com/Nevodka, Public domain, via Wikimedia Commons, Paul Nadar (Public domain, via Wikimedia Commons), Ernest Board (Public domain, via Wikimedia Commons), James Illray (Public domain, via Wikimedia Commons), DEPATISnet, iStock.com/sanjeri
Stand: 11.09.2024
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