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Zehn Jahre elektronische Schutzrechtsakte für Patente und Gebrauchsmuster
Start ins digitale Zeitalter
Vor mehr als zehn Jahren begann im Deutschen Patent- und Markenamt ein neues Zeitalter: Am 1. Juni 2011 startete die elektronische Schutzrechtsakte für Patente und Gebrauchsmuster. Von nun an konnten wir Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen vom Eingang beim DPMA bis zur Publikation vollelektronisch bearbeiten. Und was damals noch niemand auf dem Schirm haben konnte: Angesichts der Corona-Pandemie können heute die meisten DPMA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Home-Office arbeiten. Einerseits trägt das DPMA damit dazu bei, das Infektionsgeschehen einzudämmen, anderseits war und ist das Amt trotzdem oder gerade deswegen auch in diesen Zeiten voll arbeitsfähig.
Von jeder Menge Papier ...
Vor dem Start der elektronischen Schutzrechtsakte gingen beim DPMA an jedem Arbeitstag etwa 300 neue Patentanmeldungen und eine Vielzahl anderer Schriftstücke mit der Post und per Telefax ein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Patentverwaltung mussten vor Ort sein, um diese "Papierflut" zu bearbeiten, amtliche Bescheide zu erstellen und die Bearbeitungsstände im zentralen Verwaltungsrechner (ZVR) zu aktualisieren. Selbst die elektronisch eingehenden Unterlagen wurden in der Dokumentenannahme ausgedruckt und in Papier an die Patentverwaltung weitergeleitet.
... zur "elektronischen Schutzrechtsakte"
Das DPMA arbeitete seit den 80er-Jahren mit einem Rechnersystem, dem ZVR (Zentraler Verwaltungsrechner), das basierend auf der Programmiersprache Cobol funktionierte und die wesentlichen Verfahrensdaten verwaltete. Als klar wurde, dass die Verwaltungsdaten irgendwann auf diese Weise nicht mehr vorgehalten werden konnten und die Kosten für den Support mit jedem Jahr stiegen, entschloss sich das DPMA bereits Mitte der 90er-Jahre als Nachfolgesystem auf ein Workflowsystem zu setzen. Hierfür brauchte es einiges an Vorlauf: Das Amt hat die elektronische Aktenführung zusammen mit IBM Global Business Services ab dem Jahr 2006 konzipiert und implementiert, denn IBM hatte bereits Erfahrung mit Workflowsystemen. Hierfür wurden die Arbeitsabläufe des DPMA in 60 Prozessen abgebildet - vom Prozess "Dokumentenverteilung" über "Patentprüfung" bis hin zu "Änderung von Patentansprüchen".
Meilensteine zur elektronischen Schutzrechtsakte - größere Ansicht
Wie die Papierakten ins System kamen und warum eine "chaotische Ablage" gar nicht chaotisch ist
Um auf die elektronische Akte umstellen zu können, mussten wir die bisherigen Papierakten scannen. Und zwar einerseits Akten, bei denen das Patentprüfungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Andererseits mussten wir Akten, die zwar vor der Systemeinführung angemeldet waren, aber für die noch kein Prüfungsantrag vorlag, zumindest für die Verwaltungsverfahren vorhalten. Begonnen hat dieses Teilprojekt im September 2007. Ziel war die Produktivsetzung des Bestandsaktenscans im Dezember 2008, so dass es gelingen konnte, alle nicht abgeschlossenen Bestandsakten vor Produktivsetzung unserer Elektronischen Schutzrechtsakte DPMApatente/gebrauchsmuster am 1. Juni 2011 elektronisch vorliegen zu haben.
Hierfür mussten wir zuerst eine funktionierende Scanstraße aufbauen, die hohe Anforderungen an die Qualität der gescannten Dokumente (OCR-Lesbarkeit, Farbechtheit) und an die Quantität (täglicher Durchsatz von tausenden von Dokumenten) erfüllt. Außerdem musste die sogenannte Revisionssicherheit gegeben sein. Das heißt, die Informationen mussten wieder auffindbar, nachvollziehbar, unveränderbar und verfälschungssicher abgelegt sein. Die Lösung bestand darin, für die Zeiträume vor und nach der Systemeinführung unterschiedliche "Master"-Akten einzuführen. Vor der Systemeinführung war die Papierakte der Master. Für alle Akten, die nach der Systemeinführung angemeldet oder im DPMA bearbeitet wurden, war dies die elektronische Akte. Um dies revisionssicher zu realisieren, musste ein neues Ablagesystem entwickelt werden.
Hier entschied man sich für das System der "chaotischen Ablage": Eingaben zu bestimmten Aktenzeichen werden nicht mehr papiergebunden dieser Akte zugeordnet, sondern nach Tagesdatum sortiert mit einem Deckblatt, das alle relevanten Daten zur Eingabe enthält. Diese legt man in Stapeln ab. Dieses System ist alles andere als chaotisch und folgt einer stringenten Systematik.
Vom Isartor bis zum Marienplatz
Insgesamt umfasste der Bestandsaktenscan 140 000 Akten; eine Akte hat im Schnitt 56 Seiten, das ergibt 7 840 000 Seiten. Eine Seite misst rund 0,01 cm; aufeinandergelegt ergeben die gescannten Seiten eine Strecke von rund 800 m - das entspricht in München in etwa der Strecke vom Isartor bis zum Marienplatz.
"ElSA Personal" - Qualifizierung der Belegschaft für die neuen Aufgaben
Die vollelektronische Akte - dabei ging es nicht nur darum, komplexe technische Prozesse umzusetzen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veränderten sich die Arbeitsbedingungen grundlegend. So entstanden in der Patent- und Gebrauchsmusterverwaltung ganz überwiegend reine Bildschirmarbeitsplätze. Das Projekt "ElSA Personal" begleitete alle organisatorischen und personellen Maßnahmen, um die Belegschaft für ihre neuen Aufgaben fit zu machen. So schulten 60 "Key-User" von Februar 2011 bis Mai 2011 insgesamt 1 000 Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit dem neuen System.
Der "Tag W" - die letzte Papierakte
Die letzte Papierakte für ein technisches Schutzrecht hat die Dokumentenannahme am Freitag, den 29. April 2011 um Punkt 14 Uhr angelegt. Der darauffolgende Montag, 2. Mai 2011, gilt in der Historie der Elektronischen Schutzrechtsakte DPMApatente/gebrauchsmuster als "Tag W" – der Tag, ab dem alle Neuanmeldungen und deren Nachgänge nur noch elektronisch geführt wurden. Bis zu diesem Datum wurden Patent- und Gebrauchsmusterunterlagen mit dem Eingabedatum perforiert. Neuanmeldungen wurden in vorbereitete Aktendeckel mit entsprechenden Aktenzeichen eingelegt und nach der Perforierung an die "Börse" weitergeleitet. Ein Aktenaufzug verband die Dokumentenannahme unmittelbar mit der "Börse".
Die "Börse" - wie Anmeldungen "ihre Patentabteilung" finden
Alle eingehenden Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen werden einem technischen Gebiet nach der internationalen Patentklassifikation (IPC) zugeordnet.
Vor der Einführung der elektronischen Akte fand die "Börse" in einem Raum des Münchner Atriumgebäudes statt: An jedem Arbeitstag um neun Uhr nahmen die Grobauszeichner der Patentabteilungen ihre Plätze nach einem festen Sitzplan ein. Der Börsenkoordinator hatte die Papierakten der täglich etwa 300 neu eingegangenen Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen aus dem von der Dokumentenannahme im Erdgeschoss kommenden Aufzug entnommen und nach einer schnellen Durchsicht so auf den Tischen ausgelegt, dass die Stapel für immer vier bis sechs Beschäftigte in Griffnähe lagen. Wer eine Akte öffnete, musste zunächst ihren inhaltlichen Schwerpunkt erfassen, um zu entscheiden, ob sie in der eigenen Abteilung zu prüfen oder weiterzureichen war. Fiel die Anmeldung gar in ein völlig anderes Fachgebiet, so gab die Sitzverteilung den Platz im Raum vor, an dem ein Mitglied der (vermutlich) zuständigen Abteilung sitzen musste. So konnten schwierige Fälle unter den Kollegen direkt besprochen werden. Nach 30 bis 45 Minuten hatten die Börsenprüfer alle Eingänge des Tages mit ihren Abteilungsnummern versehen und verließen den Raum. Der Botendienst stellte die Akten-Stapel später zu. In Zeiten von Corona aufgrund der engen persönlichen Kontakte undenkbar.
Heute ist auch die Börse vollständig digitalisiert und findet in den Büros der Grobauszeichner über Arbeitsaufträge und Masken in der elektronischen Akte statt. Die Börse von damals war effizient, hatte Eigenart und mancher spricht noch heute von ihr als einem Ort der Begegnung. Nur zeitgemäß sind analoge Papierakten nicht mehr. Zur Erfolgsgeschichte der elektronischen Schutzrechtsakte gehört also auch, dass es im März des Jahres 2020 nicht notwendig war, sich auszudenken, mit welcher Strategie man auf die aktuellen Umstände in der Börse hätte reagieren müssen.
Der Tag X: Die Einführung der elektronischen Aktenbearbeitung und die Zeit danach
Pünktlich am 1. Juni 2011 startete im DPMA die elektronische Schutzrechtsakte mit einer Feierstunde. Die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte im DPMA in München: "Die elektronische Schutzrechtsakte im DPMA ist ein Leuchtturmprojekt der Bundesregierung. Die Inbetriebnahme des Systems ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg in das vollelektronische Zeitalter in der Bundesverwaltung".
Natürlich lief bei so einem komplexen System nach dem Start nicht gleich alles reibungslos. Es gab Prozesse, die noch nicht wie gedacht funktionierten, Arbeitslisten mit mehreren hundert Einträgen ließen sich nicht mehr bearbeiten. Die Patentverwaltung war hier zum Glück nicht allein: Patentprüferinnen und Prüfer haben persönliche Unterstützung bei technischen Problemen und Fragestellungen geleistet, Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus haben zeitkritische Aufgaben, wie das Erstellen von Prioritätsbelegen, übernommen. Prüferinnen und Prüfer haben wiederum ungezählte Formalprüfungen bearbeitet sowie die Eingangssachbearbeitung und die Datenkorrektur technisch begleitet.
IT-Fachleute im DPMA entwickeln die Systeme weiter
Die IT-Systeme des DPMA sind keine abgeschlossenen, statischen Anwendungen, vielmehr unterliegen sie einem dauernden Wandel. Ausgelöst durch interne Verbesserungsvorschläge, durch Gesetzesänderungen oder Änderungen in der internationalen Zusammenarbeit und durch technische Weiterentwicklungen werden an das System der elektronischen Schutzrechtsakte jährlich hunderte von Änderungsanforderungen gestellt. Diese resultieren zusammen mit sonstigen Korrekturen und Kleinänderungen in tausenden technischen Änderungen. Die Komplexität des Systems DPMApatente/gebrauchsmuster ist dabei immens. Über fünf Millionen Programmzeilen (entsprechend etwa 120 000 eng bedruckten Seiten Papier) müssen gepflegt und fachlich wie technisch konsistent gehalten werden.
Mit Einführung der elektronischen Schutzrechtssysteme haben wir im DPMA eine Gruppe hochqualifizierter IT-Spezialistinnen und IT-Spezialisten aufgebaut. Diese ist täglich damit beschäftigt, die komplexen Systeme zu pflegen, weiterzuentwickeln, qualitätszusichern, neue Versionen produktiv zu nehmen und zu betreiben sowie den Support für diese Systeme zu übernehmen. Dabei erweist sich die Strategie, diese Anwendungen im Haus zu betreuen, als erfolgreich. Das zeigt auch das Beispiel des Schutzrechtssystems DPMApatente/gebrauchsmuster, das sehr zuverlässig läuft. Mit einer Verfügbarkeit des Systems innerhalb der Kernarbeitszeit von bis zu 99,8 Prozent bewegt sich das DPMA auf dem Niveau hochprofessioneller IT-Dienstleister.
Wo steht die "Elektronische Schutzrechtsakte" heute?
Der Anteil an elektronisch eingereichten Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen ist seit 2010 kontinuierlich angestiegen. Waren es 2011 knapp 50 Prozent elektronische Anmeldungen, waren es 2015 bereits über 75 Prozent und heute über 90 Prozent. Der Anteil an elektronischen Nachreichungen ist ebenso kontinuierlich angestiegen.
Bilder (soweit nicht anders gekennzeichnet): DPMA, Bild 8: iStock.com/gopixa
Stand: 25.10.2024
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