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Tagung im DPMA
Einheitspatent und Patentgericht: Eine erste Zwischenbilanz
Das neue europäische Einheitspatent ist nun bald seit einem Jahr in Kraft. Ebenso lang arbeitet bereits das Einheitliche Patentgericht (EPG) oder Unified Patent Court (UPC). Zeit für eine erste Positionsbestimmung! „Patentstrategie neu denken unter Einheitspatent und UPC“ lautete der Titel einer Fachtagung im DPMAforum. Geladen hatte Bayern Innovativ, die bayerische Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer, gemeinsam mit dem DPMA. Zwölf Jahre besteht diese Kooperation nun bereits – eine schöne Tradition, wie DPMA Vizepräsidentin Dr. Maria Skottke-Klein in ihrem Grußwort meinte.
In ihrer Eröffnung betonte Skottke-Klein die Bedeutung der gewerblichen Schutzrechte: „Innovationen sind unabdingbare Voraussetzung und Treiber für Wohlstand und Fortschritt und nachhaltigen Erfolg und letzten Endes für eine prosperierende Volkswirtschaft. Aber um Ideen, neue Technologien oder Erfindungen nutzbar machen zu können, benötigen wir gewerbliche Schutzrechte, weil erst durch sie Erfindungen handelbar und mit einem Wert versehen werden.“ Patente, so Skottke-Klein, sind sozusagen das Schaufenster der Innovationskraft unserer Wirtschaft und ein wichtiger Innovationsindikator: „Gewerbliche Schutzrechte sind wichtiger denn je, wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit stärken und das wirtschaftliche Potenzial von Innovationen voll ausschöpfen wollen.“
Patente als Schaufenster der Innovationskraft
DPMA-Vizepräsidentin Dr. Maria Skottke-Klein
Nicht nur in der Bundesliga, sondern auch im Ranking der innovativsten Bundesländer hat Bayern seinen Spitzenplatz verloren: „Wir haben uns ja schon daran gewöhnt, dass Bayern seit 2019 hinter Baden-Württemberg auf Platz 2 rangiert, was die Zahl der Patentanmeldungen in Deutschland angeht. Allerdings ist dieser zweite Platz mittlerweile als abgeschlagen anzusehen“, so Skottke-Klein. Denn aus Baden-Württemberg kamen im Jahr 2023 fast 4.000 Patentanmeldungen mehr als aus Bayern (siehe DPMA-Pressemitteilung vom 5. März 2024). Das entspricht der Anmeldeleistung von Hessen und Niedersachsen zusammen!
Wie kann Bayern wieder an die Spitze gelangen? Skottke-Klein erinnerte an den Slogan von "Laptop und Lederhose", den Bundespräsident Roman Herzog 1998 prägte. Damals spiegelte er den rasanten Aufstieg Bayerns zum High-Tech-Land und umschrieb die Symbiose von Innovationskraft und Modernität mit selbstbewusster Tradition. Aber heute sei der Slogan nur noch ein „alter Hut“, so Skottke-Klein. Längst ist das Laptop durch technologische Innovationen abgelöst; Hightech und Innovation heißen heute anders. „Deshalb bin ich überzeugt, dass wir eine allgemeine neue Begeisterung für High-Tech, neue Technologien und Innovationen brauchen. Und ja, wir bräuchten auch eine neue kongeniale Metapher, die diese frische Dynamik für Bayern verkörpern kann, so wie es „Laptop und Lederhose“ vor über 25 Jahren gelang!“
Nicht den Anschluss verlieren!
Deutschland dürfe vor allem bei den digitalen Schlüsseltechnologien, etwa der Kommunikationstechnik, nicht den Anschluss verlieren, sonst werde die Innovationskraft in allen Branchen leiden, sagte die DPMA-Vizepräsidentin. Etwas weniger Risikoscheu könne dabei hilfreich sein.
Abschließend gab sie sich jedoch überzeugt, dass es in Deutschland derzeit nicht weniger Innovationen, sondern nur weniger Anmeldungen gäbe, und erinnerte die Gäste nachdrücklich daran, geistiges Eigentum auch unbedingt schützen zu lassen.
Wider das „ISO-Korsett“
Dr. Markus Reimer
Tiefsinnige Gedanken rund um die "Wa(h)re Innovation" machte sich Dr. Markus Reimer in seiner Keynote. Ist Deutschland ein Ideenriese, aber ein Umsetzungszwerg? Können wir von Wasserflöhen lernen, wie wichtig es ist, einen Plan B zu haben? Ist die „asap“-Mentalität in deutschen Unternehmen ein Innovationskiller, ebenso wie die mangelnde Fehler-Kultur? Reimers philosophierte ebenso unterhaltsam wie geistreich darüber, wo der Hund begraben liegt in deutschen Unternehmen: „ISO-Korsett“, Vorschriften-Flut, Checklisten-Mentalität und Formular-Denken schnürten den Geist ein. Innovationskraft hänge stark von der Unternehmenskultur ab: „Immer an den Menschen denken!“
Während Reimer sich noch Gedanken darüber machte, was das eigentliche Wesen der Innovation sei, hatte Moderator Bruno Götz von Bayern Innovativ schon eine Definition parat: „Innovation ist, wenn man mit einer Idee Geld verdienen kann!“
Hacks und Harmonisierung
Ricardo Cali
„Tipps & Tricks im IP-Management“ erteilte Ricardo Cali (Large corporate account manager bei Questel) in seinem Beitrag, der auf seinem Buch"50+ IP-Hacks" basierte. Cali will Impulse geben, um „effektives IP-Management durch kreatives Denken und agiles Handeln zu entwickeln“. Das Lernen stellte er dabei in den Vordergrund. Es gelte, „eine Kultur des Lernens und des Austauschs innerhalb von Organisationen zu fördern“. Mit seinen „praktischen Hacks“ solle dies leichter fallen, so Cali.
Dann ging es zum eigentlichen Thema der Tagung, dem neuen Europäischen Einheitspatent. Und zwar mit Berichten aus der Praxis des deutschen und des europäischen Patentamtes.
Dr. Michael Fröhlich, Direktor Patent Developments & IP Lab am Europäischen Patentamt, unternahm "Eine erste erfolgreiche Bestandsaufnahme" zum Einheitspatent. Er stellte die neuen Möglichkeiten des Patentschutzes in Europa und die jeweiligen Erteilungsverfahren ausführlich und detailreich vor.
Dr. Michael Fröhlich
Das neue Einheitspatent oder Unitary Patent (UP), so Fröhlich, sei günstiger als das bisherige Europäische Patent; auch der bürokratische Aufwand werde erheblich reduziert. Diese Harmonisierung erleichtere den wirtschaftlichen Aufschwung, die Interaktion und den Technologietransfer in Europa. „Der europäische Binnenmarkt für Technologie ist abgeschlossen“, so Fröhlich.
Vor allem für Kleine und mittlere Unternehmen (KMU bzw. SME) gebe es einen “Boost“. Rund ein Drittel der bisher 23.100 UP-Anmeldungen stammten von KMU, so Fröhlich. Von großer Bedeutung sei auch, dass die Erfolgsaussichten von Klagen jetzt wesentlich besser abzuschätzen seien.
Nationales Patent wertvoll wie eh und je
Detlev-Georg Schmidt-Bilkenroth
Demgegenüber betonte Detlev-Georg Schmidt-Bilkenroth: „Die nationale Patentstrategie ist so wertvoll wie eh und je“. Der Leiter der Abteilungsgruppe Physik am DPMA hob die Vorzüge des deutschen Patents hervor: es sei günstig, effektiv und deshalb auch in Zeiten des Einheitspatents weiter wertvoll und von großer „Strahlkraft“.
Die Statistik besage, dass für Deutschland angemeldete Patente deutlich länger in Kraft blieben, sich also offenbar besser auf dem Markt bewährten. „Aber es kann eben auch ein wichtiges Steuerinstrument sein, die Haltedauer des Patents zu variieren“, so Schmidt-Bilkenroth. Mit dem UP sei dies nicht so möglich. Für strategisch gut gezielten Schutz brauche es daher ein nationales oder ein europäisches Bündelpatent.
Jeder Anmelder müsse sich fragen: Wo – in welchen Ländern – benötige ich den Schutz wirklich? Europäische Patente würden zumeist nur in einer kleinen Zahl von Ländern validiert, und Deutschland sei fast immer bei diesen Ländern dabei. Dann stelle sich die Frage, ob sich ein europäisches oder Einheitspatent überhaupt lohnt. Das UP nützten hauptsächlich sehr große ausländische Firmen, so Schmidt-Bilkenroth.
Besonders betonte Schmidt-Bilkenroth die Möglichkeiten des Doppelschutzes aus nationalem und Bündel-Patent sowie die Gebrauchsmuster-Abzweigung als wertvolle Option – „günstig, schnell und wirksam!“
Der turbulent Start ins „UPC-Land“
Dr. Tobias Wuttke
Von seinen „Ersten Erfahrungen vor dem UPC“ berichtete Patentanwalt Dr. Tobias Wuttke (Bardehle Pagenberg, Partner): „Perspektiven eines UPC-Praktikers“. Wuttke hatte gleich am ersten Arbeitstag des Europäischen Patentgerichts dort einen Stapel Klagen eingereicht. Das CMS zur elektronischen Einreichung funktionierte damals noch nicht so richtig, weswegen man persönlich vorstellig wurde. Damit überrumpelte und überforderte man damals noch die sich konstituierende Kammer in München, wovon er humorvoll berichtete.
Längst habe sich Vieles eingespielt, aber noch immer herrsche internationale Aufbruchstimmung, „wie bei Erasmus, Europe at it´s best!“. Und der Zug werde immer schneller. Der UPC sei dabei, seine eigene Rechtsprechung zu entwickeln. Dabei kristallisiere sich eine zentrale Rolle der Münchner Kammer heraus, die bisher auch mit großem Abstand am häufigsten angerufen wurde. Von allen bisherigen Anrufungen seien etwa 40 Prozent in München und weitere 40 Prozent bei den restlichen deutschen Kammern eingegangen. Das habe vor allem mit der Kompetenz und Persönlichkeit der hiesigen Richter zu tun, so Wuttke.
Bisher sind insgesamt 110 Verletzungsverfahren vor dem UPC anhängig. Kostengünstiger als bisher werde es für Kläger eher nicht, so Wuttke; Klagen vor dem UPC müsse man sich leisten können und man brauche besser ein größeres Team von Anwälten.
KI verändert die Patentwelt
Martin Schweiger und Bruno Götz
„Die Rolle generativer KI bei der Umwandlung von ausländischen Patentanmeldungen in UPC-gerichtsfeste Patente“ beleuchtete anschließend Patentanwalt Martin Schweiger (Schweiger & Partners). Die Einrichtung des Unified Patent Court schafft den weltweit drittgrößten Wirtschaftsraum mit einem einheitlichen Rechtssystem für Patente, so Schweiger; „UPC-Land“ nennt er diesen Raum. Das Rechtssystem ermögliche eine konsistente Strategie mit vorhersagbarem Ausgang der Verfahren für fast ganz Europa.
Schweiger begrüßte den steigenden Einsatz von künstlicher Intelligenz beim Abfassen von Patentanmeldungen: „Er führt zu einem neuen Maß an Effizienz und Präzision, stellt traditionelle Praktiken in Frage und führt zu einer Neubewertung dessen, was eine internationale Patentfamilie ausmacht, wenn sie in verschiedenen Rechtssystemen gerichtsfest sein soll.“ Umso wichtiger sei ein strategischer Ansatz, der die rechtlichen Nuancen mit den innovativen Fähigkeiten der KI in Einklang bringt, so Schweiger. Er erwartet „einen bedeutenden Wandel in der Art und Weise, wie Patente weltweit angegangen und genutzt werden“.
Schweiger flocht in seinen Vortrag einige persönliche Erinnerungen an den früheren Patentamts-Präsidenten Erich Häußer ein.
An den Menschen denken
„Von Innovationstreibern und Know-how-Schützern“ sprach Christian Grünberger. Der Director Intellectual Property bei MTU Aero Engines gab Einsichten in die Innovationskultur aus Unternehmensperspektive. Schutzrechte stärkten die Innovationskraft, keine Frage. Aber zunächst müsse die Idee im Fokus stehen, nicht die Patentfähigkeit, so Grünberger. Erfindende müssten unterstützend begleitet werden und gleichzeitig ihre „freedom-to-operate“ erhalten dürfen.
Aber Innovation brauche auch unbedingt Patentqualität. Ein Unternehmen benötige Rechtssicherheit und durchsetzbare Patente, sonst könne es nicht investieren.
Grünberger skizzierte eine neu gedachte Patent-Strategie. Ihre Eckpfeiler sind ein um ein Drittel reduziertes Patent-Portfolio („weg von der Patent-Schwemme!“), mehr Erfindungen pro Mitarbeitende, mehr „defensive publishing“ und eine Veränderung der Erfindungskultur.
Mit einer ausführlichen Publikumsdiskussion und dem Schlusswort der Moderatoren und Organisatoren Bruno Götz und Prof. Dr.-Ing. habil. Oliver Mayer ging eine unterhaltsame, anregungsreiche Tagung zu Ende, bei der reichlich Gelegenheit zum Austausch und Networking nicht fehlte.
Bilder: DPMA / Beckh, Ginster
Stand: 16.12.2024
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